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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Steinmann, Ernst: Die Zerstörung der Königsdenkmäler in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0373

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„Ich habe zum letzten Male die Denkmäler der Frömmigkeit unserer Väter be-
trachtet," schrieb bereits im Jahre 1792 ein Ungenannter in einem Buch, das er
später „die Ruinen" nannte157). „Diese ehrwürdigen Gewölbe, diese heiligen Mauern,
auf denen die langsam schreibende Hand der Zeit die tausendjährige Geschichte
des Königtums verzeichnet hatte, werden bald aufgehört haben zu sein. Ein Augen-
blick wird das Werk von Jahrhunderten zerstören! Welche Veränderungen! Wo
ich Meisterwerke der Kunst erblickte, sehe ich Trümmerhaufen. Umgeworfene
Altäre, zerbrochene Säulen, zerstörte Statuen! Einst hallten von hohen Gewölben
die feierlichen Gesänge, die frommen Gebete wieder — heute unterbricht das Todes-
schweigen nur der Ruf der Arbeiter, nur der Schlag des Hammers, den das Echo
zu verdoppeln scheint.
„Und dies Schauspiel des Entsetzens läßt meine Einbildung mich auf einmal in
Frankreichs dreiundachtzig Departements erblicken!
„Es war den freien Franzosen des i8ten Jahrhunderts vorbehalten, die Goten und
Vandalen wieder lebendig zu machen, das Verbrechen Heinrichs VIII. zu erneuern,
der in seinem Königreich alle Klöster gewaltsam unterdrückte. Ein blindes Ver-
hängnis scheint alles zu bestimmen, was wir tun. Verehrungswürdige Denkmäler,
geheiligte Stätten, hätte man je gedacht, daß ihr so entweiht werden würdet?"
So klagte nicht Jacquemart, der Priester, der Verfasser der „Ruinen", allein, so
klagten viele andere, die ebenso wenig Macht besaßen wie er selbst: Vox clamantis
in deserto! Das Verhängnis nahm mit Riesenschritten seinen Lauf. Der Zer-
störung der Königsdenkmäler folgten die Autodafes der Königsbildnisse in den
Schlössern, die Schändung der Königsstatuen und Königsgräber in Saint-Germain
des-Pres, in Notre Dame de Paris, in Saint Denis. Mehr als zwei Jahre lang
wurden diese zielbewußten Zerstörungen fortgesetzt, und es ist nur erstaunlich, daß
noch so viel übrig blieb nach solchen Verwüstungen.
Vom 9. Brumaire bis zum 2. Frimaire des zweiten Jahres (30. Oktober bis 22. No-
vember 1793), d. h. in weniger als einem Monat, zerstörte man in Paris 434 Ge-
mälde, die dem Depot Lenoirs wohl geordnet und signiert überliefert worden waren,
und ohne die mutige Haltung des Konservators hätte man noch unendlich viel
mehr zerstört158). Es war strengstens befohlen worden, die verhaßte Rasse der
Capet in allen ihren Gliedern von der Erde verschyvinden zu lassen. So erschienen
am 9. April 1794 Bevollmächtigte der Regierung bei Lenoir und nahmen alle Bilder,
die sie als „feudal" bezeichneten, und ließen sie auf den Platz von Saint-Germain-
des-Pres bringen, wo sie verbrannt wurden, nachdem man das Volk zu dieser
Feier mit Trommelschlägen zusammengerufen hatte159). Und als auf einer Ver-
steigerung das Porträt des Kaisers von Österreich, des Vaters der Marie Antoi-
nette, ausgeboten werden sollte, schrie die Menge sofort: au feu, au feu und das
Gemälde mußte auf der Stelle verbrannt werden160).
Versailles, Saint Cloud, Fontainebleau verloren damals ihre Galerien historischer
Porträts, und die Kunstwerke, die damals zugrunde gingen, vermag keine Phantasie
sich vorzustellen. Hören wir, was die Stadtväter von Fontainebleau dem Konvent
nach Paris zu berichten wußten:161)
„Die Vorsitzende der Bürgerinnen — wir sehen, wie tätig die Anteilnahme der
Frauen überall an diesen Veranstaltungen war, — die Vorsitzende der Bürgerinnen
befahl, das Feuer an das patriotische Brandopfer zu legen. Bald hatte die Flamme
diesen ganzen Plunder von Königen und Königinnen verzehrt, die auf lächerliche
Weise überall mit Fleurs de lis verbrämt waren. Man hat hier unter anderem
das Porträt Ludwigs XIII. bemerkt, des Mannes, dessen schwachherzige Ungerech-

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