Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
terisiert ist, ist es von großer Wichtigkeit, die wahre Einheit von der schein-
baren, das Universelle vom Individuellen, zu trennen. So unterscheiden wir die
ästhetische Harmonie von der natürlichen Harmonie. Als menschliches Wesen
haben wir die Tendenz, die Einheit als Vision, als individuelle Idee, anzusehen.
Unser bewußtes »Ich« sucht die Einheit, — aber auf falschem Wege. Unser
unbewußtes »Ich«, welches selbst Einheit ist, bringt sie zuerst verhüllt, dann
reiner zur Klarheit. (Denn das Unbewußte wird bewußt, siehe oben.) Ebenso
sehen wir die scheinbaren Einheiten (als natürliche Harmonien) sich nach-
einander vernichten, bis zum Augenblick, wo die wahre Einheit sich als wirk-
liche Harmonie enthüllt. —

Das individuelle Bewußtsein benutzt nur den natürlichen Ausdruck, selbst
wenn es logisch, vernunftmäßig, sein will. Aber das Unbewußte in uns sagt
uns, daß wir in der Kunst einen besonderen Weg gehen müssen. Und wenn
wir diesem folgen, ist es kein Zeichen einer unbewußten Handlung. Im Gegen-
teil, das zeigt in unserem gewöhnlichen Bewußtsein ein größeres Klarwerden
unseres Unbewußten. Das Unbewußte löst in jeder Kunst das individuelle Be-
wußtsein mit aller Kenntnis aus. — In der Kunst kann man das menschliche
Wesen selbst nicht ableugnen, und das ist dessen Beziehung zu dem »was
ist«; denn dieses »Was ist« allein schafft die Kunst nicht.

Wir haben in der Kunst einen Hang, die alte, das heißt die natürliche Auf-
fassung, der Harmonie anzuwenden. Und es ist diese Auffassung, welche uns an
der Aufeinanderfolge und den natürlichen Beziehungen der sieben Farben und
der sieben korrespondierenden Töne festhalten läßt. — Aber schon in der Ver-
gangenheit zeigte die Kunst den Weg. Dort brach sie mit der natürlichen Auf-
einanderfolge der Farben und Töne, und in der alten Auffassung sucht die
Musik derart mit verschiedenen Mitteln eine andere Harmonie zu erreichen, —
jedoch ohne zur Klarheit zu gelangen. —

Wenn man, wie in der gregorianischen Musik, das vorherrschend Natürliche
durch Vereinfachung und Läuterung zu vertiefen versuchte, kam man nur zu
einer anderen sentimentalen Ausdrucksform. Die moderne Musik hat versucht,
sich von der alten Form zu befreien, aber sie »ignoriert« das Alte mehr, als
daß sie versucht, eine neue Erscheinung zu konstruieren. Das kommt, weil
 
Annotationen