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gestaltenden Ausdruck des Schönen,— des Schönen-wie-des-Wahren. Sie will
die abstrakte Schönheit sichtbar machen. Sie könnte durch die neue Chromo-
plastik der Architektur eine Umgebung von abstrakter Schönheit schaffen, welche
den Dekor ersetzte —, die neue Musik könnte sie ebenso für die Oper schaffen.

Die neue Kunst des Wortes könnte dem Schönen-wie-dem-Wahren durch
Gegensätze der Wortgestaltung vorangehen. Ebenso könnte man das Wort
»sprechen«, ohne daß die menschliche Gestalt auf der Bühne erschiene.

So könnte das Theater dem »Neuen« durch Vorstellungen auf Art der neuen
Gestaltung zum großen Bahnbrecher werden. Aber der großen Schwierig-
keiten wegen muß man hierauf noch lange verzichten, denn, um alles in einer
gänzlich neuen Erscheinung zu zeigen, wären ungeheuere Vorbereitungen er-
forderlich. Das Theater wartet also, bis die anderen Künste sich gewandelt
haben, dann wird es ganz gemächlich folgen.

Die ausgeglicheneBeziehung, deren negative Verwirklichung das alte Theater
war, wird im Neuen erscheinen. Das Streben zur Harmonie zeigt sich schon
in der alten Tragödie, drückt sich aber plastisch nur als Disharmonie oder
als Scheinharmonie aus.

In der neuen Kunst folgt der Tanz (Ballett usw.) demselben Wege, wie Geste
und Mimik. Er geht von der Kunst ins Leben. Man wird auf Tanzdarbietungen
verzichten, denn man wird den Rhythmus selbst verwirklichen. Die außerhalb
der Kunst stehenden neuen Tänze Tango, Foxtrott usw., erwecken schon etwas
den neuen Gedanken des Gleichgewichts durch Gegensätze des Einen mit dem
Anderen. So wird es möglich, die ausgeglichene Realität physisch zu erleben.

Die dekorativen Künste werden ebenso wie die angewandten Künste im
neuen Gestalten verschwinden. Mobiliar, Geschirr usw. werden durch gleich-
zeitiges Auswirken der Architektur, Skulptur und Malerei entstehen und sich
automatisch nach den Gesetzen der neuen Gestaltung richten.

So schafft der Mensch durch den neuen Geist eine neue Schönheit, während
er sie früher nur lyrisch besang oder sie plastisch gestaltete. Diese neue
Schönheit ist dem neuen Menschen unentbehrlich geworden, denn sie drückt
sein eigenes Bild in gleichwertigem Gegensatz aus.

Die neue Kunst ist geboren. Paris 1920.
 
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