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Müller, Friedrich Max
Vorlesungen über den Ursprung und die Entwicklung der Religion: mit besonderer Rücksicht auf die Religionen des alten Indiens — Strassburg, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.22367#0315
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Henotheismus, Polytheismus, Monotheismus, Atheismus. 293

klaren und fassbaren Sinn mit einer solchen Theorie zu
verbinden, behaupteten viele Schriftsteller des Mittelalters
und selbst der Neuzeit, dass auch die Sprache ihren Ur-
sprung einer urzeitlichen Offenbarung verdanke. Diese
urzeitliche Sprache konnte dann, so hiess es, nur das Heb-
räische gewesen sein, woraus unabweislich die nächste
Folgerung gezogen wurde, dass sich alle anderen Sprachen
aus dem Hebräischen entwickelt haben müssen. Es über-
steigt alle Begriffe, wenn man sieht, welche Masse von
Wissen und Ueberredungskraft in dicken Folianten ver-
geudet worden ist, um zu beweisen, dass Griechisch, und
Lateinisch, Französisch und Englisch vom Hebräischen
abstammen. Wenn jedoch selbst die grausamste Tortur
das Hebräische nicht zum Geständniss bringen konnte, dass
es die Mutter dieser entarteten Kinder sei, so zeigte eben
das Misslingen aller dieser Versuche, dass es nothwendig
sei, ein neues Verhör vorzubereiten und zwar indem man,
ohne jede vorgefasste Meinung, vorerst alle Thatsachen
sammelte, welche irgend welches Licht auf den Ursprung
und die früheste Geschichte der menschlichen Sprache
werfen konnten. Diese, die sogenannte historische Methode,
führte in kurzer Zeit zu einer genealogischen Classification
der hauptsächlichsten Sprachen der Menschheit, in welcher
das Hebräische endlich seine natürliche Stelle in Mitten
der übrigen semitischen Sprachen erhielt, während die
Frage nach dem Ursprung der Sprache einen ganz neuen
Charakter annahm, und man nun nicht mehr fragte, was
der Ursprung der Sprache mit Haut und Haaren, sondern
was der Ursprung der einfachsten Bestandteile einer
jeden der grossen Sprachfamilien sei, nämlich der soge-
nannten Wurzeln, sowol ihrer phonetischen Form, als ihrer
Bedeutung nach.
 
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