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56 Zweite Vorlesung.

kann ich nur sagen, dass es mich, nachdem ich die Schreckens-
und Greuelberichte des mohammedanischen Kegiments gelesen,
nur Wunder nimmt, dass noch soviel von der einheimischen
Tugend und Wahrheitsliebe dasselbe überlebt hat. Mit dem-
selben Rechte darf man erwarten, dass eine Maus vor einer
Katze, als dass ein Hindu vor einem Mohammedaner die Wahr-
heit rede. Wenn man ein Kind ängstigt, wird das Kind eine
Lüge sagen — wenn man Millionen terrorisiert, darf man nicht
überrascht sein, wenn sie versuchen, sich aus den Griffen ihrer
Peiniger zu befreien. Die Wahrheit ist ein Luxusartikel, viel-
leicht der größte und, wie ich Sie versichere, kostspieligste
Luxusartikel in unserem Leben, und glücklich, wer in der Lage
war, sich seiner von Kindheit auf erfreuen zu können. Zu un-
serer Zeit und in einem freien Lande wie England mag es leicht
genug sein, niemals eine Lüge zu sagen — aber je älter wir
werden, desto schwerer finden wir es, immer wahr zu sein, die
Wahrheit zu sprechen, die ganze Wahrheit, und nichts anderes
als die Wahrheit zu sprechen. Auch die Hindns hatten diese
Entdeckung gemacht. Auch sie wussten, wie schwer oder viel-
mehr wie unmöglich es ist, immer wahr zu sein, immer [die
Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts anderes als die Wahr-
heit zu sprechen. Es giebt eine kurze Erzählung im tfatapatha-
Brähmawa, die nach meiner Ansicht einen tiefen Sinn hat, und
durchdrungen ist von der wahren Bedeutung der Wahrheit, der
wahren Bedeutung der Schwierigkeit der Wahrheit. Zu Aru«a
Aupavesi sagte ein Verwandter: »Du bist in Jahren vorgerückt,
ordne du die Opferfeuer an.« Er antwortete: » Damit befiehlst
du mir hinfort zu schweigen. Denn derjenige, welcher die Feuer
eingerichtet hat, darf keine Unwahrheit reden, und nur da-
durch, dass man gar nicht redet, redet man keine Unwahrheit.
In solchem Grade besteht der Dienst hei den Opferfeuern in der
Wahrheit87.«

Ich möchte bezweifeln, ob Sie in irgend einer anderen der
alten Litteraturen der Welt eine Spur von jener höchsten Em-
pfindlichkeit des Gewissens finden werden, welche daran ver-
zweifelt, jemals die Wahrheit zu sagen, und welche Beden für
 
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