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Menschliches Interesse an der Sanskrit-Litteratur. 79

sie wiederkehren, uns tiefer erregen, als wir es Anderen oder
sogar uns selbst eingestehen wollen. Zwar ist bei uns nur ein
Tag von sieben der Ruhe und dem Nachdenken geweiht, der
Betrachtung dessen, was die Griechen %a (.isyiara »die höch-
sten Dinge« nannten. Zwar bringen viele von uns jenen sie-
benten Tag entweder in gedankenlosem Kirchgange oder in
ebenso gedankenloser Kühe hin. Aber ob es nun an Sonntagen
oder an Werkeltagen, ob es in der Jugend oder im Alter ge-
schieht, es giebt Augenblicke, die selten sein mögen, aber ge-
rade darum die wichtigsten Augenblicke unseres Lebens sind,
in denen die alten einfachen Fragen der Menschheit mit ihrer
ganzen Macht wiederkehren, und wir zu uns sprechen: Was
sind wir? Was bedeutet dieses Erdenleben? Sollen wir hier
niemals Kühe haben, sondern uns immer abmühen und unser
Glück erbauen aus den Trümmern des Glückes unseres Näch-
sten ? Und wenn wir nun unser Leben auf der Erde so erfreu-
lich wie möglich gestaltet haben mit Dampf und Gas und Elek-
tricität, sind wir dann wirklich so viel glücklicher als der Hindu
in seiner primitiven Wohnstätte?

Bei uns, wie ich eben sagte, in diesen nördlichen Himmels-
strichen , wo das Leben immer ein Kampf ist und sein muss,
und noch dazu ein harter Kampf, wo die Anhäufung von Reich-
tümern beinahe eine Notwendigkeit geworden ist zum Schutze
gegen die Unsicherheit des Alters und gegen die in unserem
komplicierten socialen Leben unvermeidlichen Zufälle, bei uns,
sage ich, und in unserer Gesellschaft, sind die Stunden der Ruhe
und Betrachtung gering an Zahl und weit von einander entfernt.
So war es immer, seitdem es eine Geschichte der teutonischen
Rasse giebt; so war es auch mit den Griechen und Römern.
Das europäische Klima mit seinen langen kalten Wintern, an
vielen Stellen auch die Schwierigkeit der Bodenbestellung, der
Interessenstreit zwischen kleinen Gemeinden, haben den Instinkt
der Selbsterhaltung (um nicht zu sagen der Selbstgefälligkeit)
in einem solchen Grade entwickelt, dass die meisten Tugenden
und die meisten Fehler der europäischen Gesellschaft auf diese
Quelle zurückgeführt werden können. Unser eigener Charakter
 
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