Die Stiftskirche zu Hersseld 831—1144
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nimmt v. Bezold sogar nach römischem Vorbild einen Architrav statt
Arkadenbogen an und vermag dies auch aus den Andeutungen Bro-
wers einleuchtend zu begründen?«. In einem wichtigen Punkt wich
Man allerdings von dem römischen Vorbild ab: Aus dem Bedürsnis
heraus, neben dem Titelheiligen einen zweiten Heiligen, Bonifatius,
besonders zu ehren, schuf man die erste doppelchörige Anlage^), die
wir kennen. Damit hatte man zum ersten Mal in Deutschland ein
Hauptcharakteristikum der altchristlichen Kirche, die eindeutig be-
stimmte Richtung zum Hochaltar, aufgegeben und aus der Befriedi-
gung eines praktischen Bedürfnisses heraus eine Lösung gefunden,
die dem deutschen Empfinden besonders entgegen gekommen ist, wie
die spätere Entwicklung zeigte). Trotzdem dürfen wir das Faktum
der Doppelchörigkeit in Fulda nicht überschötzen, es ist eben doch nur
erst der Keim zu der späteren Entwicklung, die in St. Michael in
Hildesheim als Ideallösung gipfelt. Sein Verdienst ist doch nur die
Erfindung der Möglichkeit zweier Chöre überhaupt, denn für den,
der die Kirche betrat, mußte doch der Eindruck eines Längsbaues
überwiegen. Wir müssen uns Fulda ganz ähnlich vorstellen, wie die
Kirche aus dem Idealplan von St. Gallen, mit der es ja so viel
gemeinsam hat, daß manche glauben mochten, der Plan stamme aus
Fulda. Versuchen wir doch einmal, uns die Kirche räumlich vorzu-
stellen^). Das dem Hauptchor vorgelegte Querhaus mit den
Triumphbogen hebt ihn gegenüber dem zweiten Chor beherrschend
hervor. Der Eingang, durch den wir in der Hauptfront die Kirche
betreten, führt uns direkt in das Seitenschiff. Dieses ist gegen das
Mittelschiff zunächst durch die Wand des zweiten Chores und dann
durch eine Reihe von Schranken abgeschlossen und so werden wir
an einem Altar««) vorbei geradewegs zu dem in der Ferne winken-
den Bogendurchgang zum Querschiff, dessen größere Helligkeit uns
anzieht, und damit zu dem Hauptchor hingeleitet. Des zweiten
Chores werden wir uns erst bewußt, wenn wir uns etwa in der
Mitte unseres Weges umschauen sollten. Es ist dies doch ein wesent-
lich anderes Raumempfinden als in St. Michael, wo sich die beiden
1905, S. XIX f. und Von der au, Fulda II, S. 60. Das Kloster in Fulda
lag bei der Sturmbasilika im Süden, bei dem großen Neubau aber mußte
es infolge von Geländeschwierigkeiten und weil man die Lage des Bonifa-
tiusgrabes beibehalten wollte, nach Westen verlegt werden. Nach Bon-
der au, Die Ursachen der von der allgemeinen Bauregel abweichenden
Grundriß-Gliederung der Ratgarbasilika zu Fulda, Fuldaer Geschichtsblätter,
17. Fg, 1923, S. 33ff., S. 40, ist die Westorientierung Fuldas auf die gleichen
Ursachen zurückzuführen. Zur Entschuldigung berief man sich dann auf
römische Beispiele („inore romsno" heißt es in den Quellen).
76) a. a. O. S. 12, 14, Abb. 4, S. 13.
77) Vgl. Abb. bei Von der au, Fulda II, S. 20 und v. Bezold, a. a. O.
Abb. 1-6
78) Vgl. Alfred Stange, Arteigene und artfremde Züge im deutschen
Kirchengrundriß, Ztschr. des Dt. Ver. f. Kunstw., Bd. 2, 1935, S. 229 ff.
79) Vgl. die Grundrißzeichnung bei v. Bezold, a. a. O. S. 7, Abb. 2.
80) Vgl. die Tituli des Rhabanus, a. a. O.
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nimmt v. Bezold sogar nach römischem Vorbild einen Architrav statt
Arkadenbogen an und vermag dies auch aus den Andeutungen Bro-
wers einleuchtend zu begründen?«. In einem wichtigen Punkt wich
Man allerdings von dem römischen Vorbild ab: Aus dem Bedürsnis
heraus, neben dem Titelheiligen einen zweiten Heiligen, Bonifatius,
besonders zu ehren, schuf man die erste doppelchörige Anlage^), die
wir kennen. Damit hatte man zum ersten Mal in Deutschland ein
Hauptcharakteristikum der altchristlichen Kirche, die eindeutig be-
stimmte Richtung zum Hochaltar, aufgegeben und aus der Befriedi-
gung eines praktischen Bedürfnisses heraus eine Lösung gefunden,
die dem deutschen Empfinden besonders entgegen gekommen ist, wie
die spätere Entwicklung zeigte). Trotzdem dürfen wir das Faktum
der Doppelchörigkeit in Fulda nicht überschötzen, es ist eben doch nur
erst der Keim zu der späteren Entwicklung, die in St. Michael in
Hildesheim als Ideallösung gipfelt. Sein Verdienst ist doch nur die
Erfindung der Möglichkeit zweier Chöre überhaupt, denn für den,
der die Kirche betrat, mußte doch der Eindruck eines Längsbaues
überwiegen. Wir müssen uns Fulda ganz ähnlich vorstellen, wie die
Kirche aus dem Idealplan von St. Gallen, mit der es ja so viel
gemeinsam hat, daß manche glauben mochten, der Plan stamme aus
Fulda. Versuchen wir doch einmal, uns die Kirche räumlich vorzu-
stellen^). Das dem Hauptchor vorgelegte Querhaus mit den
Triumphbogen hebt ihn gegenüber dem zweiten Chor beherrschend
hervor. Der Eingang, durch den wir in der Hauptfront die Kirche
betreten, führt uns direkt in das Seitenschiff. Dieses ist gegen das
Mittelschiff zunächst durch die Wand des zweiten Chores und dann
durch eine Reihe von Schranken abgeschlossen und so werden wir
an einem Altar««) vorbei geradewegs zu dem in der Ferne winken-
den Bogendurchgang zum Querschiff, dessen größere Helligkeit uns
anzieht, und damit zu dem Hauptchor hingeleitet. Des zweiten
Chores werden wir uns erst bewußt, wenn wir uns etwa in der
Mitte unseres Weges umschauen sollten. Es ist dies doch ein wesent-
lich anderes Raumempfinden als in St. Michael, wo sich die beiden
1905, S. XIX f. und Von der au, Fulda II, S. 60. Das Kloster in Fulda
lag bei der Sturmbasilika im Süden, bei dem großen Neubau aber mußte
es infolge von Geländeschwierigkeiten und weil man die Lage des Bonifa-
tiusgrabes beibehalten wollte, nach Westen verlegt werden. Nach Bon-
der au, Die Ursachen der von der allgemeinen Bauregel abweichenden
Grundriß-Gliederung der Ratgarbasilika zu Fulda, Fuldaer Geschichtsblätter,
17. Fg, 1923, S. 33ff., S. 40, ist die Westorientierung Fuldas auf die gleichen
Ursachen zurückzuführen. Zur Entschuldigung berief man sich dann auf
römische Beispiele („inore romsno" heißt es in den Quellen).
76) a. a. O. S. 12, 14, Abb. 4, S. 13.
77) Vgl. Abb. bei Von der au, Fulda II, S. 20 und v. Bezold, a. a. O.
Abb. 1-6
78) Vgl. Alfred Stange, Arteigene und artfremde Züge im deutschen
Kirchengrundriß, Ztschr. des Dt. Ver. f. Kunstw., Bd. 2, 1935, S. 229 ff.
79) Vgl. die Grundrißzeichnung bei v. Bezold, a. a. O. S. 7, Abb. 2.
80) Vgl. die Tituli des Rhabanus, a. a. O.