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tern sitzt eme Taube - der Heilige Geist- und flüstert Gregor die Melodien
vor. Diese Art, Gregor darzustellen, geht wohl auf die Vita Sancti Gregorii
zurtick, die der Diakon Johannes um 872 geschrieben hat. Die ausführli-
che und anekdotenreiche Lebensbeschreibung des Papstes fand im Fran-
kenreich eine weite Verbreitung. Und höchstwahrscheinlich war sie auch
in der Lorscher Klosterbibliothek vorhanden.* * * 4

2. Geschichtlicher Überblick

Die Einführung des Gregorianischen Chorals ins Frankenreich -

Die Lorscher Äbte und die Liturgie

Auch wenn die musikalischen Quellen Lorschs, aber auch die Kloster-
chronik keine direkten Aussagen zur Entwicklung des Gregorianischen
Chorals und zu seiner Einführung ins Frankenreich machen, so ist die
Kulturgeschichte der Abtei vor dem Odenwald doch engstens mit diesen
Ereignissen -und zwar in erster Linie personell- verbunden.

Der um 566 gestorbene Bischof Nicetus von Trier forderte schon rjt&cl et-
was mehr als 200 Jahre vor der Gründung Lorschs von der Kirchenmusik:

«Auch soll der Gesang, bzw. die Melodie dem heiligen Glauben entspre-
chend gesungen werden, nicht in einer Art, die tragische Nöte ausdrückt,
sondern in einer, die wahres Christentum in euch aufzeigt, nicht in einer
solchen, die nach Theatralischem riecht, sondern die Gewissensbisse im
Sünder erwirkt. Aber unser aller Stimme soll nicht verschieden, sondern
im Einklang sein. Der eine verlängere nicht unnötig, während der andere
verkiirzt, der eine erniedrige die Stimme nicht, während der andere sie
erhöhti sondern es bemiihe sich ein jeder demiitig, seine Stimme in den
einstimmigen Chorklang einzuschließen, sie weder dariiber hinaus erhe-
bend noch haltend, um sich sozusagen in törichter Prahlsucht hervorzu-
tun oder gar den Menschen gefallen zu wollen.» 5 * * 8

Eine solche Musikauffassung des "una voce canere”, des einstimmigen
Gotteslobes der ganzen Christenheit führte schnell zu dem Wunsch der

4 Im mittelalterlichen Bibliothekskatalog III, Pal. lat. 1677, fol. 78r wird eine Vita Sancti

Gregorii Papae erwähnt. Wenn der Katalog -wie von Bischoff datiert- aus den 80er Jahren

des 9. Jahrhunderts stammt, ist eine Zuweisung an Johannes Diaconus als Autor durchaus

wahrscheinlich.

8 zit. nach Ars Musica S. 63ff.: «Sonus etiam vel melodia condecens sancta religione psalla-
tur, non quae tragicas difficultates exclamet, sed quae in vohis veram christianitatem de-
monstret, on quae aliquid theatrale redoleat. sed compunctionem peccatorem faciat. Sed
et vox omnium nostrum non dissona debet esse. sed consona. Non unus insipienter protra-
hat et alter contrahat, aut unus himiliet, alter vocem extollat-, sed invitatus humiliter
unusquisque suam vocem inter sonum chori concinentis includere, non extrinsecus extol-
lentes aut protrahontos quasi ad stultam ostentationem indecenter efforro neque homini-
bus placere velle.»
 
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