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Der L ö w e a l S

Schäfer.

468


Herr Löwe kam vom Wald herein, zu einer Schäferinn,
Und sprach: „Ich will Dein Schäfer sein; so steht's in meinem Sinn!"
Die Schäferinn zittert angsterfüllt, und denkt: Weh' mir, o Pein!
Ein Löwe, ungezähmt und wild, soll mir mein Schäfer sein!


Was seh' ich? Eu're Klauen sind doch gar zu spitz und lang, —
Geb't her, wir schneiden sie geschwind, sonst machen Sic mir bang!"
Herr Löwe bot die Tatzen dar, die Schäferinn schnitt und schnitt,
Bis stumpf die spitze Klaue war, — schnitt fast die Pfote mit.


Doch allzuwohl war ihr bewußt, daß, wenn sie ihn verstieß',
Der Löwe voller Rachelust sie auf der Stell' zerriß'.
D'rum sprach sie schlau zum Löwen: „Herr! Ihr seid ja ganz charmant,
Die Mähne, sie gefällt mir sehr, o reicht mir Eu're Hand!


„Auch Eu're Zähne, Herr — verzeiht, daß ich nicht lügen kann, —
Sind viel zu spitz und scharf an Schneid' für einen Schäfersmann!
D'rum sperrt den Rachen auf, Herr Leu, ich feile stumpf sie Euch,
Daß nicht durch sie gefährdet sei mein.Schäflein, zart und weich!"


Herr Löwe merkte nicht den Trug, — d'rauf feilt und feilt geschwind
Die Schäferinn, bis stumpf genug die scharfen Zähne sind.
Jetzt rief die Falsche: Phylar auf! mein Hündlein, d'rauf und d'ran! —
Und Phylar fiel in raschem Lauf den armen Löwen an.


Der, machtlos, ohne Zahn und Klau', wagt keinen Widerstand,
Vor'm Hündlein flieht durch Wald und Au, Herr Leu mit Schimpf und Schänd. —
Laß Dich der Kraft berauben nie, Vie Dir ward angeboren,
Sonst bist Du, wie Herr Löwe hie, verachtet und verloren!

Münchener Bilderbogen,

Mr« 468

Herausgegebcn und verlegt von Braun L Schneider in München-

Druck von C. R, Schurich in München.
 
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