BEMERKUNGEN ZUM WERK DES VELAZQUEZ
VON AUGUST L. MAYER
Die Bemühungen der Velazquezforschung während der letzten Jahrzehnte waren mehr
darauf gerichtet, das Werk des Meisters von allen Schlacken zu säubern, als das Oeuvre
in seiner ursprünglichen Vollständigkeit mit Hilfe uns erhaltener Kopien zu rekonstruieren.
Wenn von dem Schreiber dieser Zeilen schon hier und dort kleinere Versuche nach
dieser Richtung hin angestellt worden sind, so sei heute dies Unternehmen etwas ener-
gischer fortgesetzt.
Die Sammlung Leopoldo Gil enthält das Bildnis eines Gelehrten im Lehnstuhl an einem
Tisch sitzend, ein Schriftstück in beiden Händen haltend (Abb. 1 u.2). Unsinnigerweise galt
die Darstellung als Bildnis des Raimund Lull, des grollen mittelalterlichen spanischen
Philosophen und Mystikers und wurde in keiner Weise auf Velazquez bezogen. Die Mo-
numentalität der Gestaltung, der caravagieske Naturalismus mit der Unterstreichung der
plastischen Form, die Art der Modellierung und besonders des Aufsetzens der Lichter
scheinen mir deutlich auf den frühen Velazquez zu weisen. Aber da im einzelnen in der
Behandlung manches zu äußerlich, oberflächlich und ängstlich ist, dürfte es sich wohl
um eine alte Kopie nach einem verschollenen Frühwerk des Künstlers handeln, das den
Bildern des Apostelzyklus anscheinend am nächsten stand.
Etwas weniger deutlich ist die Beziehung zu einem verschollenen Original des Velazquez
bei einem Bettelphilosophen-Bild, das rechts im Hintergrund die Inschrift „Atlante" auf-
weist (Abb. 3) und einen greisen Mann mit Zirkel in der Rechten, die Linke auf einen
Globus legend, darstellt. Bei genauerem Zusehen wird man aber doch wohl die Verwandt-
schaft mit dem soeben besprochenen Werk in Auffassung und Durchführung erkennen,
so viel flauer und kleinlicher die Kopie des „Atlante" auch sein mag.
Das erste Porträt, das Velazquez von Philipp IV. anfertigte, war ein Reiterbildnis. Wir
vermuteten schon früher, daß an dieses 16'23 entstandene, leider verschollene, wahr-
scheinlich verbrannte Werk sich das erst im Spätjahr 1624 abgelieferte Bildnis in
schwarzer Tracht, ehemals im Besitz der herzoglichen Familie Villahermosa1), aufs engste
anschließen müsse, was die eigentliche Porträtaufnahme anbetrifft. Vor einigen Jahren
ist nun ein Brustbild des Königs im Harnisch aufgetaucht, dem offenkundig die gleiche
Porträtaufnahme zugrunde liegt wie dem Villahermosabild (Abb. 4). Es ist eine sehr tüch-
tige Arbeit, aber doch nur eine sehr gute, offenbar im Atelier des Künstlers ausgeführte
') Abgebildet in den neueren Auflagen des Velazquezbandes der „Klassiker der Kunst".
VON AUGUST L. MAYER
Die Bemühungen der Velazquezforschung während der letzten Jahrzehnte waren mehr
darauf gerichtet, das Werk des Meisters von allen Schlacken zu säubern, als das Oeuvre
in seiner ursprünglichen Vollständigkeit mit Hilfe uns erhaltener Kopien zu rekonstruieren.
Wenn von dem Schreiber dieser Zeilen schon hier und dort kleinere Versuche nach
dieser Richtung hin angestellt worden sind, so sei heute dies Unternehmen etwas ener-
gischer fortgesetzt.
Die Sammlung Leopoldo Gil enthält das Bildnis eines Gelehrten im Lehnstuhl an einem
Tisch sitzend, ein Schriftstück in beiden Händen haltend (Abb. 1 u.2). Unsinnigerweise galt
die Darstellung als Bildnis des Raimund Lull, des grollen mittelalterlichen spanischen
Philosophen und Mystikers und wurde in keiner Weise auf Velazquez bezogen. Die Mo-
numentalität der Gestaltung, der caravagieske Naturalismus mit der Unterstreichung der
plastischen Form, die Art der Modellierung und besonders des Aufsetzens der Lichter
scheinen mir deutlich auf den frühen Velazquez zu weisen. Aber da im einzelnen in der
Behandlung manches zu äußerlich, oberflächlich und ängstlich ist, dürfte es sich wohl
um eine alte Kopie nach einem verschollenen Frühwerk des Künstlers handeln, das den
Bildern des Apostelzyklus anscheinend am nächsten stand.
Etwas weniger deutlich ist die Beziehung zu einem verschollenen Original des Velazquez
bei einem Bettelphilosophen-Bild, das rechts im Hintergrund die Inschrift „Atlante" auf-
weist (Abb. 3) und einen greisen Mann mit Zirkel in der Rechten, die Linke auf einen
Globus legend, darstellt. Bei genauerem Zusehen wird man aber doch wohl die Verwandt-
schaft mit dem soeben besprochenen Werk in Auffassung und Durchführung erkennen,
so viel flauer und kleinlicher die Kopie des „Atlante" auch sein mag.
Das erste Porträt, das Velazquez von Philipp IV. anfertigte, war ein Reiterbildnis. Wir
vermuteten schon früher, daß an dieses 16'23 entstandene, leider verschollene, wahr-
scheinlich verbrannte Werk sich das erst im Spätjahr 1624 abgelieferte Bildnis in
schwarzer Tracht, ehemals im Besitz der herzoglichen Familie Villahermosa1), aufs engste
anschließen müsse, was die eigentliche Porträtaufnahme anbetrifft. Vor einigen Jahren
ist nun ein Brustbild des Königs im Harnisch aufgetaucht, dem offenkundig die gleiche
Porträtaufnahme zugrunde liegt wie dem Villahermosabild (Abb. 4). Es ist eine sehr tüch-
tige Arbeit, aber doch nur eine sehr gute, offenbar im Atelier des Künstlers ausgeführte
') Abgebildet in den neueren Auflagen des Velazquezbandes der „Klassiker der Kunst".