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Münchner kunsttechnische Blätter — 8.1911/​1912

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Nr. 19
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Giov. Segantini und der Divisionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.36590#0077
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Manchen, lo.Jnni 1912.

Behage zur „Werkstatt der Kunst " (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint i4tägig unter Leitung von Maier Prof. Ernst Berger.

YIH.Jahrg. Nr. 19.

Inhalt: Giov. Segantini und der Divisionismus. — Das Einätzen der Vorzeichnung für Giasmatereien. Von
J. Mai. — Die Bitdung der Patina. Von Dr. Hugo Kühi-Kiel. (Schiuss.) — Literatur.

Giov. Segantini und der Divisionismus.

Ueber Segantinis Technik und die Eigenheiten
seiner Maiweise finden sich in der Biographie
von Franz Servaes ein paar bemerkenswerte
Abschnitte, die wir hier mit dem Hinweis auf die
Volksausgabe*), der sie entnommen sind, zum
Abdruck bringen. Einzeiheiten, die fraglicher Natur
zu sein scheinen, sind mit einem Fragezeichen
versehen, das Wichtigste ist durch den Druck
hervorgehoben.
Segantinis Uebergang zur divisionisti-
schen Technik beschreibt Servaes S. 132 u.f.
(als Segantini sich entschloss, das von der Pariser
Weltausstellung zurückgekehrte „Pflüger"-Bild neu
vorzunehmen) wie folgt:
„Nicht halbe Arbeit sollte jetzt gemacht wer-
den, sondern ganze. Es musste die Möglichkeit
errungen werden, die Nähe und die Ferne nach
dem gleichen künstlerischen Prinzip der
Vibration durch prismatische Farbenzer-
legung darzustellen und dabei sowohl die Klar-
heit wie die ruhige Grösse der Linienführung zu
bewahren.
Er war sich aufs klarste darin bewusst ge-
worden, dass, was er künstlerisch ausdrücken
wollte, mit den bisherigen Mitteln nicht zu er-
reichen war, und dass, bevor er einem feigen
Verzicht entsprach, er Neues suchen musste, um
das Ziel zu gewinnen. Er stand ja mit dem,
was er wollte, durchaus nicht etwa in der Luft.
Seine ganze technische Entwicklung der letzten
Jahre hatte mit der Macht der Logik darauf hin-
gedrängt. Und er stand nicht einmal vereinsamt.
Denn andere hatten ähnliches gewollt und ähn-
liches auch schon versucht.
*) Franz Servaes: Giov. Segantini, Sein Leben
und sein Werk. Volksausgabe. Verlag von Klinkhardt
& Biermann. Leipzig 1907.

In Frankreich waren unter der Führung Mo-
nets, Sisley und Pissarro verwandte Wege ge-
gangen, und Künstler wie Elliot, Besnard,
Henri Martin u. a. sind ihnen in seiner Weise
gefolgt.
In Belgien war Signac damit beschäftigt, die
gesamte Technik des Divisionismus auf neue
wissenschaftliche Theorie zurückzuführen, die er
geradezu als die alleinseligmachende Heilslehre
der modernen Malkunst hinstellt. Rysselberghe,
Seurat, Toorop und andere jüngere vernahmen
diesen Ruf und waren flugs bereit, danach zu
handeln.
Auch in Deutschland und Oesterreich ope-
rierten schon manche in dieser Richtung, so der
wunderliche Weimaraner Rohlfs, der Dresdener
Paul Baum und der Wiener Theodor v. Hör-
mann, dem dann später Klimt folgte.
Es war also eine „Bewegung" bereits im
Gange, die sich langsam fühlbar machte, die un-
zusammenhängend an verschiedenen Punkten ein-
setzte, aber überall von gleichem Impuls getrieben
wurde. Luft, Licht und Farben waren die
grossen Zielpunkte, wie sie es schon seit
einem Menschenalter gewesen waren.
Aber eine immer grössere Ungenügsamkeit
mit dem bisher Geleisteten, eine immer raffinier-
tere Sehtechnik, eine immer differenziertere Ent-
wicklung der nervösen Organe drängten zu un-
ablässigen und systematischen Steigerungen. Man
wollte die Unruhe in der Ruhe, die Wellen-
schwingung im Aether, die Allgegenwart des
Lebens künstlerisch ausdrücken lernen.
„Es gibt nichts Festes," empfand man, „alles
ist in Bewegung." Und ebenso empfand man,
dass jegliche Farbenmischung nur unreine
Wirkungen zu erzielen vermag, durch die
 
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