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36

Münchner kunsttechnische Biätter.

Nr. 9-

Da mich das Problem an sich interessierte,
wollte ich mich durch Kontrollversuche von der
Richtigkeit der obigen Beobachtung überzeugen
und wiederholte diese Versu-che, sowohl mit kon-
kav, als auch konvex geschliffenen Zylinderlinsen
fast gleicher Stärke. Dabei erhielt ich erheblich
andere Resultate, insbesondere, wenn die Achsen
der Gläser gewechselt wurden, und zwar bei
.— 8 Dioptrien horizontal die Zeichnung viel breiter,
bei gleichem Glase vertikal viel höher als die
Vorlage. Bei dem Versuche mit konvex zylin-
drischem Glas (-{- 8 Dioptrien) war bei vertikaler
Lage der Achse die Zeichnung jedoch breiter,
bei horizontaler wiederum höher als die Vorlage
ausgefallen. Dabei war die Vorlage ziemlich
einfacher Art; bei komplizierteren Vorlagen (ich
wählte dann ein Ornament) waren die Unterschiede
weniger bemerkbar, vielleicht deshalb, weil nach
Festlage der äusseren Konturen bereits Anhalts-
punkte für die weitere Ausführung von selbst
gegeben waren. Dabei machte sich die Undeut-
lichkeit der Strichgebung sehr bemerkbar, dass
von einem eigentlichen Nachzeichnen gar
keine Rede sein konnte. Die Arbeit des
Zeichnens war also mehr ein Erraten als das Er-
gebnis einer unmittelbaren Anschauung.
Bevor ich von meinen eigenen Versuchen be-
richte, will ich noch die weiteren von Katz erör-
tern. Obwohl er eigentlich nach den ersten Ver-
suchen mit seinem Urteil schon fertig ist, erörtert
er die Frage: „Wie steht es nun, wenn Greco
nicht nach der Natur, sondern nach der Phantasie
unter Zuhilfenahme von Erinnerungsbildern gear-
beitet hat, was ja bei der grossen Mehrheit der
Bilder sehr wahrscheinlich ist, lassen sich dann
nicht die Verzeichnungen verständlich machen?"
Katz gibt darauf gleich die Antwort (S. 33):
„Auch in diesem Falle vermag die Annahme
eines angeborenen Astigmatismus keine Aufklärung
zu geben. Hat Greco seinem Gedächtnis eine
Figur eingeprägt und will er sie nach der Er-
innerung auf die Leinwand bringen, so muss er
sie objektiv richtig zeichnen, damit die Zeichnung
übereinstimmt mit dem Erinnerungsbild, welches
er von früher her besitzt. Aus den bisherigen
Ausführungen ergibt sich in ganz einwandfreier (!)
Weise, dass die Annahme eines angeborenen
regelmässigen Astigmatismus die Art der Greco-
schen Darstellung nicht verständlich macht, weder
unter den Bedingungen des Arbeitens nach der
Natur noch unter denen eines Arbeitens nach
der Phantasie."

Weise Gesehene von seinem Gehirn mit den Erinnerungs-
bitdern dersetben ohne Zytindergtäser gesehenen setben
Gegenstände verglichen wird, dass er übrigens wusste,
wie er bei seinen Versuchen die Figuren gezeichnet
hat. Der infolge von lange bestehendem „erworbenen"
Astigmatismus Behaftete hat diese Vergleichsmomente
nicht zu seiner Verfügung. Dr. Emil B.

Damit wäre eigentlich die Frage bereits ge-
löst! Katz geht aber noch weiter und findet
durch die „Ausgleichungsphänomene im Gebiete
der Gesichtswahrnehmung" veranlasst, dass die
Objekte dem mit einem angeborenen Astigmatis-
mus behafteten Individuum wesentlich weniger
verzeichnet erscheinen werden, als einem normal-
sichtigen Individuum, welches sein Auge für we-
nige Sekunden oder Minuten in demselben Masse
künstlich astigmatisch macht. Das muss zur Folge
haben, dass die von uns oben als möglich an-
genommenen minimalen Verzeichnungen eine wei-
tere Einschränkung erfahren." Katz hält die
Hypothese für den Fall eines angeborenen
Astigmatismus bei Greco für „widerlegt" und er
geht zur Prüfung des Falles eines erworbenen
Astigmatismus über.
Hier begegnen wir einer beinahe naiven Auf-
fassung, als ob ein Individuum den Astigmatismus
erwerben könne, wie man etwa sich einen Ueber-
zieher erwirbt und dann darin einherstolziert.
Katz meint ganz richtig, in diesem Falle hätte
Greco der Eintritt des Astigmatismus nicht ver-
borgen bleiben können; und er hätte die künst-
lerische Produktion aufgeben müssen (S. 36).
Aber das Eigentümliche bei solchen Gesichts-
anomalien ist, dass der damit Behaftete selbst
gar nicht weiss, dass er fehlerhaft sieht, weil die
Anomalie nur gradatim auftritt, ganz allmählich
sich steigert, und er selbst, wenn er darauf auf-
merksam gemacht wird, es kaum glauben wird,
gerade so wie der Farbenblinde gar keine Ahnung
davon hat, weil ihm sein Mangel nicht zum Be-
wusstsein kommt. Ob der Astigmatismus ange-
boren oder erworben ist (nach Erkrankungen der
Hornhaut treten solche Fälle „unregelmässigen"
Astigmatismus wohl auf, sind jedoch ganz an-
derer Art, s. Fuchs, S. 738), ist für die Frage
von nebensächlicher Bedeutung. Die Grundursache
des veränderten Sehvermögens bleibt doch die-
selbe, es kommt darauf an, in welcher Weise
solche Anomalien bei der Tätigkeit eines
Malers in Erscheinung treten. Hunderte
von Astigmatikern werden Zeit ihres Lebens gar
keine üblen Wirkungen ihres gestörten Sehver-
mögens verspüren, weil diese Anomalie für ihren
Beruf gleichgültig ist. Nicht so aber für jemand,
der als Maler, Bildhauer, Architekt oder Kunst-
gewerbler auf genaue Beurteilung der Grössen-
verhältnisse, das sogenannte Augenmass, ange-
wiesen ist.
Ein Fall, von dem mir der Augenarzt Hofrat
Dr. H. erzählte, kann dies illustrieren: Ein adeliger
Offizier, der sein Metier mit dem des Künstlers
zu vertauschen vorhatte und zu diesem Zwecke
eine Malschule besuchte, kam eines Tages zu
ihm, und berichtete, dass sein Lehrer, dem die
stets fehlerhafte Wiedergabe seiner Studien auf-
hel, ihn zur augenärztlichen Untersuchung seines
 
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