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128

Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. 22.

in Uebereinstimmung zu setzen, denn die Figuren
sollten deutlich durch das Halbdunkel bestimmt
sein, eine der Haupterfordernisse des Kolorits,
wie der Zeichnung und der Erfindung. Und
nachdem diese in Uebereinstimmung gesetzt
waren, begannen sie (nachdem die erste Anlage
getrocknet war), ohne sich um Vorbilder, die
Natur, eventuell Statuen oder Relieven zu küm-
mern, dem Ganzen einen Halt zu geben, so dass
die Figuren im Chiaro scuro dastanden. Gleich-
wohl konnten sie in Anbetracht der wenigen
Striche die Zeichnung, ohne andere Natur vor
sich zu haben, vollenden. Sie griffen dann zum
Pinsel und begannen die Fleischfarbe über jene
Unterschichten zu streichen (ä colpeggiare un
colorito di carne); dazu bedienten sie sich mehr
der Erdfarben als jeder anderen, und die zumeist
verwendeten waren etwas Zinnober, Mennig und
Lack, sie verabscheuten wie die Pest die künst-
lichen Blaue, gelbe Lacke, Smalten, künstliche
grüne Azure, Neapelgelb und ähnliche Glanz-
farben*) und die Firnisse (abborendo come la
peste biadetti, gialli santi, smaltini, verdi azuri,
giallolino, e similmente i lustri, e le vernici.)
Aber nachdem die zweite Farblage gegeben und
getrocknet war, gingen sie an das Lasieren, zum
Beispiel einer Figur mit irgend einem tieferen
Ton, um sie gegen eine Nachbarhgur abstechen-
der zu machen, und damit dieselbe mehr vor-
springend erscheine. Durch Aufsetzen etlicher
Lichter an einer anderen Stelle mit dem Pinsel,
etwa auf der Höhe des Kopfes oder einer Hand
oder eines Fusses Hessen sie die Dinge, sozu-
sagen, aus der Leinwand heraustreten, wie man
es in der St. Rochus-Kirche rechterhand vom
grossen Altar sieht, wo Tintoretto die Gefangen-
schaft des hl. Rochus so kunstvoll dargestellt
hat. Und durch wiederholte, gut überlegte Re-
tuschen, die aufs Trockene an den rechten Ort
angebracht wurden, erzielten sie jede beabsich-
tigte Harmonie. Und fürwahr, wenn sie auch
nicht alle Figuren ganz übermalten, sondern sie
wie verzieren dmit jenen markigen Pinselstrichen,
und in den Schatten, oftmals mit einer Lasur
von Asphalt übergingen, hauchten sie ihnen Geist
ein und Hessen stets die körperhafte grosse
Masse der Mitteltöne, auch bei vielen Schatten und
wenig Lichtern wirken." Bochini sagt zum Schluss:
„Es steht ausser Zweifel, dass unsere ausge-
zeichneten Künstler sich dennoch nach den glei-
chen Grundsätzen ihre eigene Manier bewahrten,
wie es bereits gesagt wurde; von Giov. Bellini
und seinen Nachfolgern angefangen bis zu seiner
Zeit, wo Palma Vecchio das „Unmögliche möglich
gemacht habe"; denn er war der einzige, der

*) Hier ist nur von der Malerei der Karna-
tion die Rede, bei der alle diese Farben vermieden
wurden. Zur Malerei der Gewänder usw. wurden sie
selbstredend ausgiebig verwendet.

die Weichheit der Ausführung mit emsigem Fleiss
(der Durchführung) vereinigte, wie man in der
Figur der hl. Barbara in St. Maria Formosa sehen
könne, die als besonders „preziös" geschätzt
werde. Auch in nächster Nähe kann man sich
an der Feinheit und der lobenswerten Durch-
führung erfreuen, wie an einer seltenen Sache,
die neben der künstlerischen Behandlung, den
kühnen Pinselspritzern, wie jene des Schiavone
und Bassano Bewunderung erregt.
Aber die Palme des Kolorits müsse doch dem -
unsterblichen Tizian gereicht werden, der durch
seine Malerei der Wahrheit am nächsten ge-
kommen ist."
Das wäre also die „Quintessenz" der vene-
tianer Technik, die Boschini mit vielen Worten
und grosser Beredsamkeit kundgibt! Aber über
gar manche Einzelheiten lässt er den Leser im
Zweifel; über das Oelbindemittel und die Firnis-
bereitung erfahren wir gar nichts, ebensowenig
über die Grundierung der Leinwand, die doch
für die Koloristik der Venetianer von grösster
Wichtigkeit sein müsste. Um sich über diese
Dinge zu unterrichten, müssten wir uns um an-
dere Quellen umsehen. Die wichtigste derselben
ist vielleicht die des Armenini, die uns in seiner
Schrift „Le veri prezetti" erhalten ist. *) Aber
auch andere Quellen kämen in Betracht, darunter
die interessanteste und noch wenig bekannte,
das Volpato-Ms., das hier anschliessend in Ueber-
setzung zum Abdruck gebracht werden soll.
Volpato's Dialog über die Bereitung der
Leinwänden Farben und anderer aut
Malerei bezüglicher Dinge.**)
(Livio und Silvio treffen sich in einer Wein-
schänke.)
S.: Nur wenige Tage bin ich bei meinem Herrn
Florindo, und möchte deshalb, Ihr unterrichtet
mich über die Art, Leinwänden und Farben zu
bereiten, sowie über alles, was zu seinem Dienste
nötig ist, denn ich habe in dergleichen Künsten
wenig Uebung. '
L.: Oh, du Narr! Iss nur zu, jetzt ist nicht
die Zeit zu derlei Plage; bist du fertig, dann werde
ich dir all' das weisen.
*) Siehe den Abschnitt Armenini in meiner Mal-
technik der Renaissance und Folgezeit (IV. Folge der
Beiträge), S. 50—59
**) Das in der Bibliothek zu Bassano befindliche
Manuskript hat den Maler Giovanni Battista Vol-
pato (geb. 1633), einen Schüler des Novelli (j* 1677),
zum Verfasser. Es ist betitelt: Modo da Tenir nel
Dipinger, abgedruckt bei Merrifield, Original Trea-
tises, on the arts of Painting (London tS49) II. Bd.
S. 726—753. Eine italienische Ausgabe ist erschienen
unter dem Titel: Del preparare tele, colori, ed altro
spettante alla Pittura. Dialogo inedito scritto da
Giambatista Volpato-Bassanese. Bassano 1847, mit
einer Einleitung des Herausgebers Baseggio und einem
Porträt des Voipato.
 
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