Klein, Die Aufgaben unserer Gipsabguß-Sammlungen.
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aus und wie dämlich erst die Gestalt seines einsamen Liebchens, mit der man so
wenig anzufangen wußte.
Wir beschließen damit die Aufzeigung der Wunder, die ein modern geleitetes
genügend dotiertes Gipsmuseum bietet, oder doch bieten kann, und dürfen nun
hoffen, den freundlichen Leser für die hohe Schönheit, die dieses Aschenbrödel unter
seinen stolzen Schwestern auszeichnet, empfänglich gestimmt zu haben. Sie dient
im Mägdegewand der wissenschaftlichen Arbeit, während jene in stolzer Pracht Be-
wunderung heischen. Aber in das Idealreich der hellenischen Plastik führen nicht die
stolzen Portale der Museumsbauten, der Weg geht nur durch die enge Pforte, die wir hier
durchschritten. Da öffnet sich der Blick in ihre Geschichte, so weit sie die wissenschaft-
liche Arbeit erforschen kann, und so vieles was deren schöpferische Kraft im Kampfe
mit den Tücken der Überlieferung dieser abgerungen hat, steht hier in monumentaler
Gestalt vor uns. Scheint es da nicht geboten, nicht nur für die rechte Wertung der
Gipssammlung einzutreten, sondern auch gegen die Überschätzung der »Toten-
kammern der Antike«, mit welchem freundlichen Namen man die Antikenmuseen
belegt hat, Stellung zu nehmen ? Nun neben dem Vielen, was den Abguß nicht
lohnt, bleibt doch das große Gebiet all dessen, was von Resten der Antike nicht
abgießbar ist — abgesehen von dem, was nicht abgegossen werden darf — ihnen doch
als sicherer und unschätzbarer Alleinbesitz. Und dann noch die bange Frage: kann
denn der Gips den Glanz des Originales ersetzen? Wer das Thorwaldsen zugeschrie-
bene Wort: »Ton ist Leben, Gips ist Tod, Marmor Auferstehung« geprägt haben mag,
seinen vollen Sinn hat es für die Arbeit des Bildhauers, aber es ist nur allzuoft auf
den Abguß nach der Antike angewendet worden. Freilich den Glanz des Originales
kann auch der bestpräparierte Gips nicht wiedergeben, aber die Originale glänzen
nicht immer und in gar vielen Fällen wirkt der einheitlich aussehende Abguß voll-
ständig gegenüber der von den Schäden der Zeit und der Restauratoren in allen
Farben spielenden Oberfläche des Marmors, die dem Auge ein Verständnis der Form
erschwert. Wir wüßten so manches Werk zu nennen, dessen Wert erst durch den
Abguß förmlich zutage kam, müssen uns jedoch eingestehen, daß diese Gewinne
den Verlust nicht aufwiegen. Das Wesentliche, was dem Abguß gegenüber dem
Originale fehlt, heißt in der kürzesten Formel ausgedrückt: Er tut keine Wunder.
Steht in einer großen Abgußsammlung auch nur ein Kasten mit ein paar Stücken,
gut genug, um den Lernbegierigen einiges Wissenswerte zu demonstrieren, oder hat
sich gar ein antiker Torso dahin verirrt, so kann man wahrnehmen, wie auf den durch
die Gipse empfänglich gestimmten Besucher bei der Annäherung an diese Objekte
etwas wie ein elektrischer Funke überspringt; er gerät in leise Erregung. In den
Antikensälen der Museen wird der Zauber, der vom Original ausgeht, sofort fühlbar,
er steigert sich vor dem großen Kunstwerk bis zum Eindruck eines Erlebnisses.
Dieselbe Gestalt, die ihm im Abguß selbst in künstlerisch reiner Form immer im
Reich des Gegenständlichen blieb, hier tritt sie ihm mit der Macht einer Persönlich-
Museumskunde. VIII, 2. jr
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aus und wie dämlich erst die Gestalt seines einsamen Liebchens, mit der man so
wenig anzufangen wußte.
Wir beschließen damit die Aufzeigung der Wunder, die ein modern geleitetes
genügend dotiertes Gipsmuseum bietet, oder doch bieten kann, und dürfen nun
hoffen, den freundlichen Leser für die hohe Schönheit, die dieses Aschenbrödel unter
seinen stolzen Schwestern auszeichnet, empfänglich gestimmt zu haben. Sie dient
im Mägdegewand der wissenschaftlichen Arbeit, während jene in stolzer Pracht Be-
wunderung heischen. Aber in das Idealreich der hellenischen Plastik führen nicht die
stolzen Portale der Museumsbauten, der Weg geht nur durch die enge Pforte, die wir hier
durchschritten. Da öffnet sich der Blick in ihre Geschichte, so weit sie die wissenschaft-
liche Arbeit erforschen kann, und so vieles was deren schöpferische Kraft im Kampfe
mit den Tücken der Überlieferung dieser abgerungen hat, steht hier in monumentaler
Gestalt vor uns. Scheint es da nicht geboten, nicht nur für die rechte Wertung der
Gipssammlung einzutreten, sondern auch gegen die Überschätzung der »Toten-
kammern der Antike«, mit welchem freundlichen Namen man die Antikenmuseen
belegt hat, Stellung zu nehmen ? Nun neben dem Vielen, was den Abguß nicht
lohnt, bleibt doch das große Gebiet all dessen, was von Resten der Antike nicht
abgießbar ist — abgesehen von dem, was nicht abgegossen werden darf — ihnen doch
als sicherer und unschätzbarer Alleinbesitz. Und dann noch die bange Frage: kann
denn der Gips den Glanz des Originales ersetzen? Wer das Thorwaldsen zugeschrie-
bene Wort: »Ton ist Leben, Gips ist Tod, Marmor Auferstehung« geprägt haben mag,
seinen vollen Sinn hat es für die Arbeit des Bildhauers, aber es ist nur allzuoft auf
den Abguß nach der Antike angewendet worden. Freilich den Glanz des Originales
kann auch der bestpräparierte Gips nicht wiedergeben, aber die Originale glänzen
nicht immer und in gar vielen Fällen wirkt der einheitlich aussehende Abguß voll-
ständig gegenüber der von den Schäden der Zeit und der Restauratoren in allen
Farben spielenden Oberfläche des Marmors, die dem Auge ein Verständnis der Form
erschwert. Wir wüßten so manches Werk zu nennen, dessen Wert erst durch den
Abguß förmlich zutage kam, müssen uns jedoch eingestehen, daß diese Gewinne
den Verlust nicht aufwiegen. Das Wesentliche, was dem Abguß gegenüber dem
Originale fehlt, heißt in der kürzesten Formel ausgedrückt: Er tut keine Wunder.
Steht in einer großen Abgußsammlung auch nur ein Kasten mit ein paar Stücken,
gut genug, um den Lernbegierigen einiges Wissenswerte zu demonstrieren, oder hat
sich gar ein antiker Torso dahin verirrt, so kann man wahrnehmen, wie auf den durch
die Gipse empfänglich gestimmten Besucher bei der Annäherung an diese Objekte
etwas wie ein elektrischer Funke überspringt; er gerät in leise Erregung. In den
Antikensälen der Museen wird der Zauber, der vom Original ausgeht, sofort fühlbar,
er steigert sich vor dem großen Kunstwerk bis zum Eindruck eines Erlebnisses.
Dieselbe Gestalt, die ihm im Abguß selbst in künstlerisch reiner Form immer im
Reich des Gegenständlichen blieb, hier tritt sie ihm mit der Macht einer Persönlich-
Museumskunde. VIII, 2. jr