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den konnte. Aber dieses Urteil trifft glücklicherweise, nicht den)
ganzen Minnesang. Noch heute sprechen uns manche Minnelieder
als reine Liebesdichtung an. So finden sich bereits in den Namen-
losen Liedern einige Strophen, die, unberührt von der allgemeinen
Ideenatmosphäre des Minnesangs, unmittelbare Herzenstöne be-
kunden, die das Liebesgefühl rein und voll austönen lassen. Ich
erinnere nur an die entzückende Strophe: „,Dü bist min ich bin
dm" etc., wo- jede Bezugnahme auf gesellschaftliche Hintergründe,
wo jedes konventionell ethische Moment vermieden ist, wo1 einzig
die Liebe selbst, das Liebespaar im Mittelpunkt steht. Besonders
auch im letzten der Namenlosen Lieder bekunden sich Töne echten £
Liebesgefühls: „Ein winken und ein umbesehen .wart mir dö ich si [
nähest sach. da mo-ht anders niht geschehen wan daz si minnec-
liche sprach: ‘vriunt, du wis vil höchgemuo-t’. wie sanfte daz mun
herzen tuot. Ich wil weinen von dir hän sprach daz allerbeste wip-
schiere soltu mich enphän unde troesten minen lip, wie du wilt so
wil ich sin, lache liebes frowelm."
In diesen Versen liegt eine so- süße Innigkeit, eine so rührend
naive Aufgeschlossenheit von Herz und Sinn, wie das nur selten;
im Minnesang begegnet. Sodann möchte ich auf die ergreifenden
Frauenstrophen des Kürenbergers hinweisen und auf die gefühl-
vollen Liebeskundgebungen bei D. von Eist und H. von Veldeke:
„So wol mich liebes des ich hän umbevangen ! 'höhe stät mm muo-t: !
wan al diu werlt noch nie gewan ein schoene wip so rehte guot."
(D. v. Eist.) „swe mir scade an miner vro-uwe, dem wonsc ich des ,
dorren rises dar ane die dieve jiemen ir ende, swe min daran scöne
in tro-uwen, dem wonsc ich des paradises ende, valde hem mine
hende. fräg iemen we si si, der kenne si dä bi: et is die wale ge-
däne. genäde, vro-uwe mir. der sonnen gan ich dir, so skine mir der
mäne." Hier empfinden wir die Liebe wirklich als Liebe, nicht
blo-s als Abbild im Zerrspiegel einer über und über in Konven-
tionen gefesselten Welt.
Besonders aber erinnere ich an das Werk der Größten, an Mo-
rungen, Wolfram und Walther, die, man darf es ohne Uebertrei-
bung sagen, zum Teil Liebeslieder geschaffen haben, die zum wert-
vollsten Besitz der Weltliteratur zu zählen sind.
So hat die Liebe im Alinnesang, bei aller Ueberfremdung durch
Sophismen, Gemeinplätze und allgemein moralisierende Sentenzen
wenigstens in einigen Liedern und Strophen eine dichterische Ge-
staltung erfahren von tiefem menschlichem Gefühl und schlichter
Innigkeit.

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