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ein Wahn. Sie selbst gestehen es ein und sprechen bald von ihrem
lieben, bald von ihrem törichten Wahn. Husen 45/32; Guoten-
burc 71/1; Fenis 83/22; 84/9; Rugge 109/36; 101/35; Morun-
gen 134/17; 136/1; 143/14; 190/11; Reinmar 156/27; Hartmann
209/5; 218/21; Walther 119/5; 71/35; 94/6; 185/9; 95/27;
Mit all diesen Eingeständnissen parodiert sich die Minne fast
selbst zu einer künstlichen Mache. Aus Galanterie und Höflichkeit
entspringt die konventionelle Lüge. Und es leuchtet ein, wenn
Wechssler sagt: „das Fernbleiben von Alter, Krankheit und anderen
entstellenden Gewalten aus diesem Olymp ewiger Jugend und
Schönheit muß unser Mißtrauen wecken." Einzelne Ausnahmen
sind natürlich zuzugestehen. Uebrigens finden sich bei den Dich'
fern selbst Hinweise, die unsere Annahme bekräftigen. Morungen
132/14; Reinmar hingegen verwahrt sich ernstlich gegen den Vor-
wurf, daß seine Liebe nur eine Lüge sei 197/9; aber auch sein Bei-
spiel gibt indirekt zu erkennen, daß man damals schon allgemein
nicht allzuviel Ehrlichkeit in den galanten Minneliedern vermutete.
Zu deutlich war der konventionelle Zweck zu erkennen. Das ganze
Minneverhältnis beruhte zudem auf poetischer Fiktion. Auch lag
es klar zutage, daß Minnesang durchaus eine Tendenzdichtung der
Frauen war. Die grundsätzliche Unterordnung des Mannes, sein
notwendig dauerndes Liebeswerben und Dienen war ein im-
ponierender Ausdruck dafür, daß die Frau im Begriff stand, ihre
Emanzipation in der Liebe durchzusetzen. Im Gegensatz: zum
Brauch der Ehe, der die Frau dem Willen dies. Mannes unterord-
nete, wollte die Frau freie Entscheidung über ihre Lie'be gewinnen,
und in der Minne war ihr der Triumph erotischer Emanzipation
zuteil geworden. Minne war Frauenkult schlechthin. So erweist
sich der Minnesang deutlich als eine Dichtung der Frauen.-; denn
sie haben ihm, im Bewußtsein seiner kulturschöpferischen Bedeu-
tung, ihren Geist, und ihre Wünsche eingehaucht. Der Minnesän-
ger ist wirklich ein Frauensänger; er dichtet auf ihren Wunsch und
Befehl. „Nach Sinn und Bestimmung, so können wir schließen,
war und blieb das Minnelied ein Panegyrikus." (Wechssler.) Ent-
sprechend manifestiert sich das Liebesverhältnis zwangsläufig als
ein Uebereinander der Geschlechter zugunsten der Frau; denn man
ist von bestimmten Tendenzen geleitet, will bestimmte. Ideen und
Ziele verwirklichen. Ein festes Vorstellungsgut liegt zugrunde:
Minnesang ist Ideendichtung.
Minne und Gesellschaft.
Wir haben bereits mehrfach auf den Charakter des Minnesangs
als einer Gesellschaftspoesie hingewiesen. An dieser Steile gilt es
nun, grundsätzlich diese Zusammenhänge zu erörtern.
Die allgemeine Entwicklung der Minnedichtung stellt sich we-

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