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zufassen ist, die, zutiefst in Ideen und Idealen des Rittertums ver-
wurzelt, den sinnfälligsten Ausdruck ihrer kulturellen Umwelt
bietet. Einem zweiten Teile bliebe sodann die Aufgabe, darzutun,
in welcher Art und Weise das Individuum dien Liebesbegriff be-
stimmt und wandelt.
Die vorliegende Arbeit aber, die gleichsam nur den ersten Teil
einer umfassenderen Untersuchung darstellt, wird sich im beson-
deren darum zu bemühen haben, die allgemeinen Ideengrundlagen
des Minnesangs von den Anfängen bis Walther begrifflich klar zu
erörtern.

Die Ideengrundlagen des Minnesangs
von den Anfängen bis Walther.
Vorbetrachtung.
Man hat vielfach betont, daß im Minnesang wesentlich immer
die gleichen Motive begegnen und daher den Vorwurf der Ein-
tönigkeit erhoben. Die Auffassung, der Minnesang sei ein ewiges
Einerlei ohne fühlbare, individuelle Differenzierung, spukt noch
heute in vielen Köpfen. Wie fast alle literarischen Aburteil'e ist
auch diese polemische Einstellung ungerecht und einseitig, bequem
und spießig. Sie bemüht sich in keiner Weise, die Dichtung aus
dem Kunstbegriff der Zeit heraus zu erfassen; sie sieht nur das,,
was unserem durch Jahrhunderte rastloser, geistiger Entwicklung
erzogenen, ästhetischen Geschmack widerstrebt. Es fehlt ihr der
historische Sinn, der zur gerechten Wertung vergangenen Kultur-
gutes unerläßlich ist. Das Große, Allgemeine und Einmalige, das
hinter der ganzen Minnebewegung steht, wird nicht in seiner sym-
bolhaften Bedeutung erfaßt.
Der Minnesang ist freilich keine Liebesdichtung in unserem
Sinne; er ist kein Bekenntnissang liebender Herzen, sondern allge-
meine Gesellschafts- und Konversationspoesie.. Aber im beson-
deren bedeutet er uns die grandiose Kundgebung der ritterzeit-
lichen Ideale, Strebungen und Wünsche im Spiegel einer gesell-
schaftlich bedingten Liebesgestaltung. Nur von solcher Vorausset-
zung aus. ist es möglich, dem Minnesang gerecht zu werden. Man
muß seinen Charakter als Gemeinschaftskunst erfassen und darf
sich seiner kultur-historischen Bedeutung nicht verschließen. Wenn
man aber erkannt hat, daß sich im Minnesang die sittlich und
idealistisch weltanschaulichen Potenzen des Rittertums manifestie-
ren, daß er also der allgemeinen Geistigkeit seiner Zeit Sprache ge-
liehen hat, dann wird man das Immergleichbleibende und Immer-

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