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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 59.1939

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Henche, Albert: Die Karlsbader Konferenzen nach den amtlichen Berichten und den vertraulichen Briefen des Frh. von Marschall an den Herzog Wilhelm von Nassau
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https://doi.org/10.11588/diglit.62288#0092
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Albert H e n ch e

sein. Nichts berechtigt uns zu Besorgnissen dieser Art bei der gegenwärtigen
Lage der Angelegenheit in Deutschland und dem, was eine nahe Zukunft ent#
wickeln wird.“ Gleichzeitig tritt Marschall bei dem Herzog für eine Haft#
entlassung des Pfarrers Snell ein. Das beweist, daß er politische Grundsätze
nicht mit Justizterror durchzusetzen gewillt war.
Mit den Ergebnissen der Untersuchung gegen diesen hatte sich auf Grund
einer umfangreichen Eingabe des Gymnasialdirektors Dr. Snell in Weilburg,
des Bruders des Häftlings, der Herzog selbst vertraut gemacht. Er konnte sich
den Gründen des offen redenden Bittstellers nicht verschließen, der ihm vor
Augen führte, daß entgegen allen Tatsachen manche Denunzianten, und be#
sonders der Wiesbadener Apotheker Dr. Otto, der sich allerorts „durch Schmä#
hungen gegen Beamte berüchtigt gemacht“ habe, und dessen „leidenschaftliche“
Art von seinen eigenen Eltern bei der Vernehmung als „Geistesverwirrung“
bezeichnet worden war, dem Landesherrn vorspiegelten, daß „ein allgemeines
Verschwörungskomplott unter den nassauischen Staatsbürgern“ ausgebrochen
sei, und „plötzlich tritt da eine allgemeine Inquisition auf“. Ottos Denunzia#
tionen hatten sich nach Mussets Berichten an Marschall ebenfalls im Falle des
politisch unbedeutenden Dombois45 als Uebertreibungen erwiesen: „Eine wirk#
liehe Tathandlung, um die Republik einzuleiten oder eine Einwirkung gar auf
die Löningsche Tat konnte nicht bewiesen werden.“ Selbst der Herzog (26. 8.)
schrieb an Marschall, daß sein Urteil über die Verhafteten besser geworden sei,
wenngleich er auch ihm seine volle Zustimmung zu der mißtrauischen Haltung
in der Angelegenheit ausdrückt und sich dazu bekennt: „Meine Ansichten und
Grundsätze kennen Sie zu genau als daß ich Ihnen noch versichern müßte,
wie sehr ich mit allem einverstanden bin4S, was Ihre Briefe mir ver#
heißen.“ Auch Durchlaucht läßt die Gelegenheit nicht vorübergehen, auf Hes#
sens zögernde Haltung in der Demagogenriecherei einen mißbilligenden Blick
zu werfen: „In Darmstadt47 ist noch die alte Leier!“
Marschall verließ Karlsbad am 1. September, nicht ohne eine höfliche Di#
plomatenverbeugung vor Metternich und seinen Erfolgen zu machen: „Wir
verdanken alle Resultate der ebenso aufgeklärten als zweck#
mäßigen Thätigkeit Metternichs.“ Er reichte an den Herzog noch eine
Denkschrift über die Entstehung und Entwicklung der revolutionären Bewe#
gung in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung Nassaus ein und
hofft, daß von den „Karlsbader Beschlüssen“ einmal das historische Urteil
gelten werde, daß sie „als Wendepunkt für die revolutionären Bewegungen
in Deutschland betrachtet“ werden könnten. Freilich komme alles darauf an,
daß Preußen gegen die Revolutionäre fest bleibe; nach Preußen richte man
sich jetzt in Deutschland, eine durchaus richtige Beobachtung.
Am 2. September trifft Marschall in Wiesbaden ein und wird vom Herzog
freudig empfangen.48 Bei der Audienz kann diesem der Minister auch An#
erkennungsschreiben der Teilnehmer der Karlsbader Konferenzen vorlegen,
von denen das des preußischen Ministers von Bernstorff, der später abfäl#
lig über Marschall urteilte, es deutlich ausspricht, daß „der Minister von Mar#
schall einen wesentlichen und von sämtlichen in Karlsbad
versammelt gewesenen Ministern lebhaft anerkannten An#
theil an den aus derartigen Beratungen hervorgegangenen Arbeiten gehabt“ habe.
Marschall selbst wandte sich nun, vorwiegend beraten von dem streng re#
aktionären österreichischen Bundestagsgesandten Hofrat von Handel, auch
praktisch der Bekämpfung der „Demagogen“ zu, besonders seitdem auch Hessen
unter dem neuen Minister v. Grolmann49 ebenfalls zu schärferem Zugreifen
bereit zu sein schien. Das Opfer der jetzt beginnenden Reaktion war der
bedeutendste nassauische Publizist Johannes Weitzel. Der Freiherr vom Stein
aber nahm nun erst recht gegen Marschall eine ablehnende49* Stellung ein,
was dessen geschichtlichem Andenken wie nichts anderes geschadet hat.
 
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