Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 59.1939

DOI article:
Moeren, Egon: Zur sozialen und wirtschaftlichen Lage des Bauerntums im 12. bis 14. Jahrhundert
DOI article:
I. Kap. Die freie Erbleihe
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62288#0038
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
34

Egon Moeren

I. Kap. Die freie Erbleihe
1. Im Mainzer Gebiet.
Wegen ihrer zahlenmäßigen Verbreitung, aber vor allem wegen der gün#
stigen Möglichkeiten, die sie für das Bauerntum enthielt, ist die freie Erb#
leihe die bedeutendste Form der ländlichen Leihen, die in dem Mainzer
Raum begegnen. Gewiß konnte die freie Erbleihe auf das verschiedenste ausge#
staltet werden. Man wird darum ihre Bedeutung für die soziale und wirt#
schaftliche Lage der ländlichen Bevölkerung immer nach den ganz bestimm#
ten Einzelfällen zu beurteilen haben. Wenn auf den folgenden Seiten diese
Unterschiede hervortreten sollen, dann mag hier zunächst allgemein auf zwei
wesentliche Tatsachen hingewiesen werden: die Zusicherung der Erblich#
keit und der freien Nutzung. Diese gaben dem Bauerntum die Möglichkeit,
auf vorteilhafte Weise in den Besitz von Grund und Boden zu kommen.
In der Landwirtschaft spielen größere Zeiträume eine besondere Rolle. Nur
der viele Jahre hindurch sorgsam bebaute Boden wird voll ertragreich sein.
Die Zeitleihe beschränkte nicht nur das wirtschaftliche Planen, sie bot ge#
radezu den Anreiz dazu, das Leiheobjekt in rücksichtsloser Weise auszu#
nutzen.1 Der Bauer, dem der Boden nur auf bestimmte Zeit überlassen, war
bestrebt, die Zeit seiner Bewirtschaftung voll auszunutzen, ohne aber dem
Boden die nötige Pflege zuteil werden zu lassen. Diese Nachteile der Zeitleihe
fielen bei der Erbleihe fort. Bei ordnungsgemäßer Wirtschaft lag hierin aber
auch ein erheblicher Vorteil des Leiheherrn. Er war der Sorge enthoben, die
Wirtschaftsführung des Beliehenen regelmäßig beaufsichtigen und nach ge#
wissen Zeitabständen für einen neuen Baumann sorgen zu müssen.
Wie die Erblichkeit der große Vorteil der Erbleihe gegenüber der Zeit#
leihe ist, so ist es die Möglichkeit der freien Nutzung gegenüber der gründ#
herrlichen Leihe. Auch bei der grundherrlichen Leihe waren im Laufe der
Zeit die Leistungen genauer bestimmt worden, aber in der Klarheit und Ge#
nauigkeit wie bei den meisten Erbleihen wird es nicht der Fall gewesen sein.
Durch die Erbleihe erhält der Beliehene „ein dingliches, vererbbares und
zum Teil auch veräußerliches Recht an dem Leihegut.“2 Die entscheidenden
Punkte der Erbleihe treten auch in der technischen Bezeichnung hervor, wes#
halb hier die gebräuchlichsten Formen genannt seien: „in potestatem et in
jus hereditarium condonate“3, „jure hereditario possidere“ 3, „in possessionem
juste hereditatis tradere“l, „in perpetuam hereditatem concedere.“ 5 Eine Ur#
künde unterscheidet die dem Beliehenen offenstehenden Möglichkeiten ge#
nauer: „venditione transferre vel locatione conducete seu in emphiteosin, qui
contractus inter venditionem et locationem medius consistit, concedere.“6
Die Frage nach der Entstehung und dem Ursprung der freien
Erbleihe ist mehrfach behandelt worden. Es sind darüber verschiedene An#
sichten aufgestellt7, die alle freien Erbleihen auf eine bestimme Ursprungsform
zurückführen. Mir erscheint es angebrachter, sich nicht auf eine bestimmte
Form festzulegen.8 Die Quellen, die zu dieser Arbeit herangezogen wurden,
weisen wenigstens auf zwei Möglichkeiten hin. Es lag nahe, Zeitleihen,
besonders solche auf Lebenszeit, sog. Vitalleihen, über die Erstbeliehenen hin#
weg auf die folgende Generation auszudehnen. Einen solchen Fall stellt
z. B. eine Vitalleihe aus dem Jahre 1181 dar. 9 Es wird neben den Eltern auch
der Sohn, falls einer da ist, belieben. Doch lagen hier besondere Umstände
vor: Das Leihegut ist ein wirtschaftlich verkommener Hof, der wieder in
geordnete Kultur gebracht werden soll; der Leiheherr mag bedacht haben,
daß dazu die Lebenszeit eines Ehepaares nicht reichen werde- Wenn zu#
nächst solche Besonderheiten zu einer Verleihung über mehrere Geschlechter
 
Annotationen