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Künstler-Gesellschaft Zürich [Hrsg.]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 38.1878

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J. J. Ulrich, Kunstmaler und Professor
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https://doi.org/10.11588/diglit.43129#0025
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19

Eine grosse Sorge trübte oft den Lebensabend des immer noch unermüdlichen Mannes, und
Wehmuth überkam ihn, wenn mau von seinem einzigen Sohne sprach, von welchem der grosse Ocean
ihn trennte. Ob er ihn wohl noch einmal umarmen dürfe?! —
Hatte der Tod seiner ersten Gattin (1856) den kräftigen Mann so tief erschüttert, dass er aufs
Krankenlager geworfen wurde, wie musste ihm sein, als im September 1874 die treue Pflegerin seines
Alters plötzlich dahinstarb! Es war diess die jüngere Schwester seiner ersten Gattin, mit der er sich
im Jahre 1857 verheiratete und die von da an mit wahrhaft rührender Anhänglichkeit ihr ganzes noch
übriges Leben der Pflege des schwächer und schwächer werdenden Gatten auf die hingehendste Weise
widmete.
Da auf einmal verliessen ihn die physischen Kräfte, die er mit ungeahnter Willensstärke trotz
des schon seit Langem sich vorbereitenden Leidens beherrscht hatte. Hiilflos geworden, musste er von
kindlicher Liebe sich pflegen, vom Familien- und Freundeskreise trösten und aufheitern lassen. Nur
einmal noch flackerte die schwindende Lebenskraft auf, als im Frühjahr 1875 der heissersehnte Sohn
zum Besuche ins Vaterhaus zurückkehrte; aber mit dem Abschiedsgrusse erstarb auch dieser letzte
Funke. Auge und Ohr verschlossen sich je länger je mehr der äussern Welt und die Hand, die so
unermüdlich den Pinsel geführt, der Fuss, der mit Leichtigkeit Bergesgipfel erklommen hatte, sie ver-
mochten sich kaum mehr zu regen. Ja selbst die klangvolle Stimme sollte fast gänzlich erlöschen.
Wie oft in dieser Leidenszeit hat der Greis sich gesehnt, das todesmatte Haupt zur ewigen Ruhe
zu legen, „denn“ — sagte er -— „den Tod fürchte ich nicht, wenn’s nur mit dem Sterben gnädig
„geht!“ — Und als er dann die Schwäche überhandnehmen fühlte, die vor seinem Todestage — dem
17. März 1877 — eintrat, da sagte er ruhig: „Jetzt geht es gut.“ —
Gnädiglich ist es ihm geschenkt worden, nach wenigen Tagen unbedeutender Leiden den letzten
Athemzug sanft auszuhauchen, umringt von den Liebsten und Nächsten die ihm geblieben. Einzig dem
Sohne Ulrichs war es versagt, am Sterbebette des Vaters zu weinen.
Den schwersten Kampf hatte der edle Mann damals gekämpft, als er seinen Willen einer höhern
Macht beugen und auf immer der Arbeit entsagen musste! —

Wir haben in Vorstehendem versucht, den Lebensgang des verstorbenen Künstlers zu schildern
und seinen Verdiensten gerecht zu werden; der schönste Lorbeerkranz aber wurde ihm gewunden, als
die hiesige Künstlergesellschaft im September und October 1877 eine Ausstellung der meisten in Zürich
und Umgebung vorhandenen Bilder, sowie einer Anzahl Studien und Skizzen Ulrichs veranstaltete.
Hier hatte man Gelegenheit, sich von dem künstlerischen Entwicklungsgänge, der ungewöhnlichen Arbeits-
kraft und dem vielseitigen Talente Ulrichs einen annähernden Begriff zu machen, und selbst Diejenigen,
welche seit langer Zeit des Meisters Wirken genau verfolgt zu haben glaubten, mussten sich gestehen,
dass sie die Totalleistungen dieses Mannes bei seinen Lebzeiten nicht genug gewürdigt hatten.
Ulrich ist aus derjenigen französischen Schule hervorgegangen, welche schon in den Zwanziger-
Jahren anfing, sich von den strengen pedantischen Formen der David’schen Richtung loszusagen. Auf
der Seite der Landschaftsmalerei waren es bekanntlich Corot, Theodor Rousseau, Jules Dupre, Cabat,
Marilhat, unser Landsmann Carl Bodmer u. A., welche einen gänzlichen Umschwung vorbereiteten und
späterhin zu Ende führten. Die Anfänge dieser Umkehr fallen in Ulrichs Studienzeit, und eine Reform,
 
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