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Eine weitere Abschweifung der Kunstdrechsler von dem ihnen zugehörenden
Gebiet war die Herstellung anatomischer Modelle. Menschliche Sehädel, sogen. Toten-
köpfe, waren von den Elfenbeinschnitzern nicht so selten in verkleinertem Massstabe
gearbeitet worden, eine ganz schöne und dankbare Aufgabe. Für die Drechslerei
eignete sich gar nicht übel das Auge, nur durfte man es nicht allzu genau nehmen
und sich z. B. nicht daran stossen, wenn der Drehbank zuliebe der Sehnerv so dar-
gestellt wurde, als ob er in der Verlängerung der Achse des Auges läge. Im übrigen
war ein solches « Kunstauge » ein ganz subtiles Werk; in ungefähr natürlicher Grösse
fein ausgedrechselt und in seine Teile vollständig zerlegbar. Netzhaut und Sclerotica
wurden aus Elfenbein gedreht, Aderhaut und Iris aus schwarzem Horn, die Cornea aus
englischem Laternenhorn; Linse und Glaskörper aus Glas geschliffen; die Augenmuskeln
aus Pergament ausgeschnitten. Wo es angezeigt war, wurden rote Äderlein aufgemalt,
auch die Augenlider mit den eingesetzten Wimpern nicht vergessen. Das Ganze kam
auf eines der üblichen Gestelle zu stehen. Nachdem das so ziemlich gelungen, wagten
sich die Anatomen von der Drehbank sogar noch an die Darstellung des Gehörorgans
und embryologischer Dinge, worüber nichts Rühmliches zu sagen ist.
In eine vierte Gruppe bringe ich die kleinen Gebrauchsgegenstände von ein-
fachster Form, rund oder oval, glatt oder gerippt gedrehte Dosen, Büchsen, Nadel-
büchsen, Schreibzeuge, Pulverhörner, Pfeifen, deren kunstdrechslerischer Schmuck fast
nur in der Verzierung der Oberfläche durch Schuppen, Muscheln u. drgl. bestand, oder
wohl auch in flachen Reliefs und Aufschriften, die mit Hilfe des Contrefait-Werks
hergestellt waren. Das sah oft recht gut aus und war mindestens zweckmässig; doch
mischte sich auch hier gelegentlich der Passicht-Teufel ins Spiel, indem die Büchsen
nicht nur gerade, sondern auch schräg gedrechselt wurden, sodass die Seitenflächen
zur Bodenfläche geneigt waren, wie beim schiefen Turm von Pisa, was bei Dosen und
dergleichen flachen Büchsen abscheulich aussah.
Recht zierliche Arbeiten der Kunstdrechsler, wenn auch allzusehr nur Spielerei,
sind die stark verkleinerten Nachbildungen von Spinnrädern, Haspeln, Bettstatten u. drgl.;
ihr Bestes aber geben sie uns in gewissen grössere Schaustücken, wie Pokalen, Kelchen,
Vasen, bei denen eine schöne Form angestrebt und der ganze Apparat der Verzierungs-
kunst in Bewegung gesetzt wurde. Freilich, wo das leidige Passicht Kopf und Hand
verwirrte, fielen solche grosse Stücke, die viel köstliches Elfenbein verbrauchten, oft
genug recht abgeschmackt aus. Ein böses Beispiel hiefür ist der Becher des Martin
Teuber, den er in der Zusammenstellung seiner Kunststücke (Nr. XXXIX) abbildet.
Ein anderer Elfenbeinkünstler verfertigte Pokale « in- und auswendig mit Buckeln, wie
solche sonst die Goldschmiede zu treiben pflegten », ein Beweis für die feine Festigkeit
des Rohstoffes. Am wenigsten fehl gingen jene Künstler, die für die allgemeine Form
von solchen kaum sichtbaren Dingelchen habe, die unterm Vergrösserungsglas jedenfalls unvollkommen
und hässlich genug aussahen. Doppelmayr spricht sich hierüber in der nach Form und Inhalt merkwür-
digen Anmerkung (Seite 218) folgendermassen aus: « Sölten einige mit Aeliano bey dergleichen Kunst-
Sachen, die mehr curieux als nützlich sind, zu sagen pflegen, quod hasc sint vana temporis jactura, so
mag man doch sonsten noch andere gute Gedancken dabey haben, in Erwegung, dass nemlich, da solche
Kunstwercke, da sie schwer und mühsam zu machen, von einer grossen Geschicklichkeit ihres Meisters
und von besonderen Gaben, die manchen Menschen angedeihen, sattsam zeugen, die Natur-Wercke,
welche unbeschreiblich subtiler und considerabler sind, einen um so grössern, ja den grössten Meister,
dessen Allmacht unendlich ist, uns richtigst zu erkennen geben.
Eine weitere Abschweifung der Kunstdrechsler von dem ihnen zugehörenden
Gebiet war die Herstellung anatomischer Modelle. Menschliche Sehädel, sogen. Toten-
köpfe, waren von den Elfenbeinschnitzern nicht so selten in verkleinertem Massstabe
gearbeitet worden, eine ganz schöne und dankbare Aufgabe. Für die Drechslerei
eignete sich gar nicht übel das Auge, nur durfte man es nicht allzu genau nehmen
und sich z. B. nicht daran stossen, wenn der Drehbank zuliebe der Sehnerv so dar-
gestellt wurde, als ob er in der Verlängerung der Achse des Auges läge. Im übrigen
war ein solches « Kunstauge » ein ganz subtiles Werk; in ungefähr natürlicher Grösse
fein ausgedrechselt und in seine Teile vollständig zerlegbar. Netzhaut und Sclerotica
wurden aus Elfenbein gedreht, Aderhaut und Iris aus schwarzem Horn, die Cornea aus
englischem Laternenhorn; Linse und Glaskörper aus Glas geschliffen; die Augenmuskeln
aus Pergament ausgeschnitten. Wo es angezeigt war, wurden rote Äderlein aufgemalt,
auch die Augenlider mit den eingesetzten Wimpern nicht vergessen. Das Ganze kam
auf eines der üblichen Gestelle zu stehen. Nachdem das so ziemlich gelungen, wagten
sich die Anatomen von der Drehbank sogar noch an die Darstellung des Gehörorgans
und embryologischer Dinge, worüber nichts Rühmliches zu sagen ist.
In eine vierte Gruppe bringe ich die kleinen Gebrauchsgegenstände von ein-
fachster Form, rund oder oval, glatt oder gerippt gedrehte Dosen, Büchsen, Nadel-
büchsen, Schreibzeuge, Pulverhörner, Pfeifen, deren kunstdrechslerischer Schmuck fast
nur in der Verzierung der Oberfläche durch Schuppen, Muscheln u. drgl. bestand, oder
wohl auch in flachen Reliefs und Aufschriften, die mit Hilfe des Contrefait-Werks
hergestellt waren. Das sah oft recht gut aus und war mindestens zweckmässig; doch
mischte sich auch hier gelegentlich der Passicht-Teufel ins Spiel, indem die Büchsen
nicht nur gerade, sondern auch schräg gedrechselt wurden, sodass die Seitenflächen
zur Bodenfläche geneigt waren, wie beim schiefen Turm von Pisa, was bei Dosen und
dergleichen flachen Büchsen abscheulich aussah.
Recht zierliche Arbeiten der Kunstdrechsler, wenn auch allzusehr nur Spielerei,
sind die stark verkleinerten Nachbildungen von Spinnrädern, Haspeln, Bettstatten u. drgl.;
ihr Bestes aber geben sie uns in gewissen grössere Schaustücken, wie Pokalen, Kelchen,
Vasen, bei denen eine schöne Form angestrebt und der ganze Apparat der Verzierungs-
kunst in Bewegung gesetzt wurde. Freilich, wo das leidige Passicht Kopf und Hand
verwirrte, fielen solche grosse Stücke, die viel köstliches Elfenbein verbrauchten, oft
genug recht abgeschmackt aus. Ein böses Beispiel hiefür ist der Becher des Martin
Teuber, den er in der Zusammenstellung seiner Kunststücke (Nr. XXXIX) abbildet.
Ein anderer Elfenbeinkünstler verfertigte Pokale « in- und auswendig mit Buckeln, wie
solche sonst die Goldschmiede zu treiben pflegten », ein Beweis für die feine Festigkeit
des Rohstoffes. Am wenigsten fehl gingen jene Künstler, die für die allgemeine Form
von solchen kaum sichtbaren Dingelchen habe, die unterm Vergrösserungsglas jedenfalls unvollkommen
und hässlich genug aussahen. Doppelmayr spricht sich hierüber in der nach Form und Inhalt merkwür-
digen Anmerkung (Seite 218) folgendermassen aus: « Sölten einige mit Aeliano bey dergleichen Kunst-
Sachen, die mehr curieux als nützlich sind, zu sagen pflegen, quod hasc sint vana temporis jactura, so
mag man doch sonsten noch andere gute Gedancken dabey haben, in Erwegung, dass nemlich, da solche
Kunstwercke, da sie schwer und mühsam zu machen, von einer grossen Geschicklichkeit ihres Meisters
und von besonderen Gaben, die manchen Menschen angedeihen, sattsam zeugen, die Natur-Wercke,
welche unbeschreiblich subtiler und considerabler sind, einen um so grössern, ja den grössten Meister,
dessen Allmacht unendlich ist, uns richtigst zu erkennen geben.