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Schäfer, Alfons [Editor]
Neue Forschungen zu Grundproblemen der badischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert — Oberrheinische Studien, Band 2: Karlsruhe: Kommissionsverlag G. Braun, 1973

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Gall, Lothar: Die partei- und sozialgeschichtliche Problematik des badischen Kulturkampfs
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https://doi.org/10.11588/diglit.52720#0128
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Die partei- und sozialgeschichtliche Problematik des badischen Kulturkampfs 115
schiedenen Befürworter des kleindeutschen Programms in Baden völlig ins Wanken
geriet, da immer mehr Liberale auf Grund der Stimmung im Lande, aber auch
eigener Überzeugungen von diesem Programm abrückten52. Daß sie dabei, in
der Sorge, mit Bismarck und seiner Politik identifiziert zu werden, unversehens
ins österreichische Lager gerieten und damit indirekt Kräfte unterstützten, deren
erklärtes Ziel die Beseitigung des liberalen Systems in Politik und Wirtschaft
war, ist ihnen zu spät bewußt geworden. Es war daher nicht nur eine mehr
oder minder geistvolle Randbemerkung, sondern traf den Kern der Sache, wenn
Roggenbach einmal bemerkte, Baden sei durch die „Schulkrankheit“ unfähig
geworden zu jeder nationalen Politik53. Und Roggenbach war darüber hinaus
weitsichtig genug zu erkennen, daß die Auseinandersetzung mit der katholischen
Bewegung nicht nur die Einheit der Kräfte zersplitterte und die Fronten in ge-
radezu grotesker Weise verschob, sondern auch den kleindeutschen National-
staat, sollte er doch noch entstehen, mit den schwersten Hypotheken belasten
mußte, Hypotheken, die einzulösen er die Liberalen mehr und mehr für unfähig
hielt. Hierin liegt einer der Gründe dafür, warum er, der 1859 in gewissem
Sinne das kleindeutsch-liberale Gegenprogramm zu den Plänen Bismarcks in der
deutschen Frage entworfen und es im Sommer 1861, gleichzeitig mit Bismarck,
dem zur Kur in Baden-Baden weilenden preußischen König vorgetragen hatte54,
sich nun Bismarck näherte und seine Politik der Einigung „von oben“ vorsich-
tig unterstützte55.
In seinen düsteren Prognosen wurde Roggenbach durch die weitere Entwick-
lung in Baden nur bestätigt. In den Wirren der Auseinandersetzung mit der
katholischen Bewegung hatten die Liberalen im Frühjahr 1866 schließlich jedes
außenpolitische Konzept verloren56. Und als der Gegensatz zwischen den beiden
deutschen Großmächten sich zuspitzte und auch Baden, dessen Regierung unter
dem Freiherm von Edelsheim, dem Nachfolger Roggenbachs, auf mittelstaat-
lichen Kurs gegangen war, sich entscheiden mußte, da folgte die rein liberale
52 Bezeichnend hierfür sind etwa die außenpolitischen Abschnitte im Programm der
neuen badischen Fortschrittspartei und die günstige Aufnahme, die die Kehrtwendung
fand, die Edelsheim zu Beginn des Jahres 1866 in der Außenpolitik vollzog.
53 Vgl. K. Samwer (Anm. 46) S. 90.
54 Vgl. H. Oncken (Anm. 10) S. 37 und 265 ff., und K. Samwer (Anm. 46) S. 49 ff. —
Die erste Fassung von Bismarcks berühmter Denkschrift über die deutsche Frage
und die Bundesreform hat H. Oncken erschlossen (Die Baden-Badener Denkschrift
über die deutsche Bundesreform (Juli 1861), in: HZ 145 (1932) S. 106 ff.); die im Herbst
61 in Reinfeld überarbeitete zweite Fassung in: Ges. Werke (Friedrichsruher Ausgabe),
Bd. 3, S. 266 ff.
55 Vgl. K. Samwer (Anm. 46) S. 94 ff., H. Oncken, Rudolf von Bennigsen. Ein deut-
scher liberaler Politiker, I (Stuttgart-Leipzig 1910) S. 704 ff., und ders. (Anm. 10) I,
S. 502 ff.; s. a. H. Baumgarten an H. v. Sybel, 11. 5. 66, in: J. Heyderhoff und P.
Wentzcke, Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks. Eine politische Briefsammlung,
I (Bonn—Leipzig 1925) S. 281 ff.
56 Vgl. Baumgarten-J olly (Anm. 18) S. 67 ff.; J. C. Bluntschli (wie Anm. 23) III,
S. 132 ff.; A. Hausrath (Anm. 18) S. 88 ff. u. 108 ff.; G. Freytag, K. Mathy, in:
Ges. Werke, Bd. 8, Leipzig—Berlin o. J., S. 401 f.; L. Blum (Anm. 6) S. 96 ff. Das
bekannteste Zeugnis für die Reaktion der kleindeutschen Liberalen auf diese Entwicklung
und für die Schlüsse, die man daraus zog, ist H. Baumgartens berühmte Schrift: Der
deutsche Liberalismus. Eine Selbstkritik (1866), in: Histor. und politische Aufsätze und
Reden, hg. E. Mareks (Straßburg 1894), hier bes. S. 155 ff.
 
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