STAAT UND SÄKULARISATION
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Kirche abbilden. Als badischer Landesbischof bot sich schon 1802 der Baseler Bischof
Franz Xaver von Neveu an, der angesichts der bevorstehenden Säkularisation eine neue
Aufgabe suchte56. Er ließ die badischen Diplomaten am Regensburger Reichstag wissen,
er sei es gewohnt, selbst geistliche Funktionen zu vollziehen, und liebe den Müßiggang
nicht. Neveu erklärte, leichten Herzens auf die weltliche Regierung verzichten zu können;
er wisse sich in seinen Bedürfnissen einzuschränken und äußerst sparsam zu leben. Der
badische Vertreter am Reichstag, von Gemmingen, relativierte diese Selbstbewertung
allerdings beträchtlich, wenn er urteilte, der Bischof sei sehr hinter dem Gelde her, Rom
blind ergeben und seine Prinzipien befänden sich mit dem Geist der Zeit wenig in Über-
einstimmung. Er riet deshalb davon ab, das Angebot Neveus anzunehmen. Die badische
Regierung griff denn auch die Selbstbewerbung des Baseler Bischofs nicht auf. Als vorläu-
fige Regelung wurden zwei kirchliche Verwaltungsbezirke geschaffen: das Konstanzer
Vikariat für Oberbaden und das Bruchsaler Vikariat für Unterbaden57.
Erstaunlich wenig war das niedere Schulwesen von den Folgen der Säkularisierung
und von der Verstaatlichung des Kirchenwesens betroffen. Das dreizehnte Organisations-
edikt von Mai 1803 traf zwar Regelungen zur Verbesserung des Schulwesens, berührte
aber dessen konfessionellen Charakter kaum. Der Staat kümmerte sich vor allem um
überkonfessionelle Mittelschulen; dagegen blieb, wie Hans-Peter Ullmann festgestellt
hat, das niedere und mittlere Schulwesen »weiterhin mit den Kirchen verbunden«58. Die-
ser Zustand dauerte bis zu den Schulreformen der dreißiger Jahre.
Allerdings erforderte das Schulwesen auch ein besonders behutsames Vorgehen, da der
Staat durch die Territorialveränderungen sein konfessionelles Gesicht völlig verwandelt
hatte59. Bis 1802 besaß die vereinigte Markgrafschaft eine lutherische Mehrheit von 61,5 %
gegenüber 36,6% Katholiken; hinzukamen 0,6% Reformierte und 1,2% Juden. Die
Volkszählung von 1808 erbrachte demgegenüber 66% Katholiken, nur noch 27%
Lutheraner, 7 % Reformierte und 1,5 % Juden. Wie in anderen Staaten mit Säkularisati-
onsgewinnen brach auch in Baden das bisherige Prinzip der vorwaltenden Konfession
oder gar der Monokonfessionalität zusammen. Wer wollte, mochte dies für eine Negativ-
folge der Säkularisation halten.
Ergaben sich aus der Säkularisation längerfristig wirksame Nachteile für die betroffe-
nen bzw. begünstigten Staaten? Neben dem gerade erwähnten Verlust an konfessioneller
Homogenität muß auch der Verlust an »ethnischer« Homogenität genannt werden. Die
Verbindung mit bisher nicht zum eigenen Staatsverband gehörenden, d. h. »ausländi-
schen« Bevölkerungen konnte durchaus Opposition beim bisherigen Staatsvolk hervor-
rufen, von den inkorporierten Bevölkerungen, die sich neuen und zumeist strikteren
Regelungen und Reglementierungen unterwerfen mußten, ganz abgesehen. Die Abwehr
des Fremden, Ungewohnten galt überall. So protestierten 1815 Einwohner der Altmark,
56 Vgl. Politische Correspondenz (wie Anm. 7) 4, S. 330 Nr. 394; S. 346 Nr. 418 (Beschränkung auf
1000 fl. Jahreseinkommen); S. 401 Nr. 492. Zu Bischof von Neveu vgl. Gatz, Bischöfe der deutsch-
sprachigen Länder (wie Anm. 54), S. 533-535. Vgl. ferner den Beitrag von M. Jorio in diesem Band.
57 Vgl. H. Schmid, Der rechtsrheinische Teil der Diözese Straßburg in den Jahren 1802-1808, in:
Badische Heimat 60 (1980), S. 419-429.
58 Vgl. Handbuch (wie Anm. 28), S. 55.
59 Vgl. Stiefel, Baden (wie Anm. 45), S. 672f.
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Kirche abbilden. Als badischer Landesbischof bot sich schon 1802 der Baseler Bischof
Franz Xaver von Neveu an, der angesichts der bevorstehenden Säkularisation eine neue
Aufgabe suchte56. Er ließ die badischen Diplomaten am Regensburger Reichstag wissen,
er sei es gewohnt, selbst geistliche Funktionen zu vollziehen, und liebe den Müßiggang
nicht. Neveu erklärte, leichten Herzens auf die weltliche Regierung verzichten zu können;
er wisse sich in seinen Bedürfnissen einzuschränken und äußerst sparsam zu leben. Der
badische Vertreter am Reichstag, von Gemmingen, relativierte diese Selbstbewertung
allerdings beträchtlich, wenn er urteilte, der Bischof sei sehr hinter dem Gelde her, Rom
blind ergeben und seine Prinzipien befänden sich mit dem Geist der Zeit wenig in Über-
einstimmung. Er riet deshalb davon ab, das Angebot Neveus anzunehmen. Die badische
Regierung griff denn auch die Selbstbewerbung des Baseler Bischofs nicht auf. Als vorläu-
fige Regelung wurden zwei kirchliche Verwaltungsbezirke geschaffen: das Konstanzer
Vikariat für Oberbaden und das Bruchsaler Vikariat für Unterbaden57.
Erstaunlich wenig war das niedere Schulwesen von den Folgen der Säkularisierung
und von der Verstaatlichung des Kirchenwesens betroffen. Das dreizehnte Organisations-
edikt von Mai 1803 traf zwar Regelungen zur Verbesserung des Schulwesens, berührte
aber dessen konfessionellen Charakter kaum. Der Staat kümmerte sich vor allem um
überkonfessionelle Mittelschulen; dagegen blieb, wie Hans-Peter Ullmann festgestellt
hat, das niedere und mittlere Schulwesen »weiterhin mit den Kirchen verbunden«58. Die-
ser Zustand dauerte bis zu den Schulreformen der dreißiger Jahre.
Allerdings erforderte das Schulwesen auch ein besonders behutsames Vorgehen, da der
Staat durch die Territorialveränderungen sein konfessionelles Gesicht völlig verwandelt
hatte59. Bis 1802 besaß die vereinigte Markgrafschaft eine lutherische Mehrheit von 61,5 %
gegenüber 36,6% Katholiken; hinzukamen 0,6% Reformierte und 1,2% Juden. Die
Volkszählung von 1808 erbrachte demgegenüber 66% Katholiken, nur noch 27%
Lutheraner, 7 % Reformierte und 1,5 % Juden. Wie in anderen Staaten mit Säkularisati-
onsgewinnen brach auch in Baden das bisherige Prinzip der vorwaltenden Konfession
oder gar der Monokonfessionalität zusammen. Wer wollte, mochte dies für eine Negativ-
folge der Säkularisation halten.
Ergaben sich aus der Säkularisation längerfristig wirksame Nachteile für die betroffe-
nen bzw. begünstigten Staaten? Neben dem gerade erwähnten Verlust an konfessioneller
Homogenität muß auch der Verlust an »ethnischer« Homogenität genannt werden. Die
Verbindung mit bisher nicht zum eigenen Staatsverband gehörenden, d. h. »ausländi-
schen« Bevölkerungen konnte durchaus Opposition beim bisherigen Staatsvolk hervor-
rufen, von den inkorporierten Bevölkerungen, die sich neuen und zumeist strikteren
Regelungen und Reglementierungen unterwerfen mußten, ganz abgesehen. Die Abwehr
des Fremden, Ungewohnten galt überall. So protestierten 1815 Einwohner der Altmark,
56 Vgl. Politische Correspondenz (wie Anm. 7) 4, S. 330 Nr. 394; S. 346 Nr. 418 (Beschränkung auf
1000 fl. Jahreseinkommen); S. 401 Nr. 492. Zu Bischof von Neveu vgl. Gatz, Bischöfe der deutsch-
sprachigen Länder (wie Anm. 54), S. 533-535. Vgl. ferner den Beitrag von M. Jorio in diesem Band.
57 Vgl. H. Schmid, Der rechtsrheinische Teil der Diözese Straßburg in den Jahren 1802-1808, in:
Badische Heimat 60 (1980), S. 419-429.
58 Vgl. Handbuch (wie Anm. 28), S. 55.
59 Vgl. Stiefel, Baden (wie Anm. 45), S. 672f.