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Oettinger, Karl; Knappe, Karl-Adolf
Hans Baldung Grien und Albrecht Dürer in Nürnberg — Nürnberg, 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.29719#0124
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ZU BALDUNGS PERSÖNLICHKEIT

K. Oettinger

Betrachtet man Baidungs Nürnberger Schaffen auf sein Persönliches hin - also auf Stil in der alten
Wortbedeutung von Griffel, Handschrift dann erweist sich, daß die meisten seiner bleibenden Züge
sich zumindest ankündigen.

Schon mit dem Baseler Selbstbildnis des kaum Achtzehnjährigen ist das spezifische Gefühl für die
Linie da, für ihre Bedeutung als Begrenzung, wie für ihren Schönheitswert in einem immer auch orna-
mentalen Bezug. Was sie insofern und als Kontur, Umriß und Teilumriß zu leisten hat, bannend und
bindend, was sie darüber hinaus als Gliederungsmittel im Rahmenviereck bezeichnet, das steht schon von
den ersten Blättern an fest und wird nie mehr preisgegeben.

Damit hängt die Präponderanz der Menschengestalt zusammen. So feine Landschaftsgedanken der
> Sebastians-Altar< oder das >Pariser Reiter-Bild< bieten - Baidung bleibt doch vor allem ein 'Meister der
Figur“: in viel unbedingterem Sinn als Dürer, Cranach und selbst Grünewald - von Altdorfer nicht zu
sprechen.

Auch der Charakter seiner Figurenwelt ist durch jenen Selbstwert der Linie mitbedingt. Das Bannende,
Abschließende und Unbedingte der Umrisse drängt zur isolierten Einzelgestalt oder zu der wie verwach-
senen Figurengruppe, wovon das Pariser Aristoteles-Blatt von 1503 ein erstes und etwa der Martins-
Holzschnitt von 1506 ein besonders vollendetes Zeugnis geben.

Schon insofern sind seine Gestalten gebunden zu nennen. Er baut mit ihnen und verschränkt sie, er
dehnt und überdehnt die Glieder und zwingt ihre Proportionen, er knickt ihre Gelenke, er begabt und
beschränkt sie auch im Hinblick auf den von Anfang an übergeordneten Bildflächenwert. So kühne Ver-
kürzungen, Rückenmotive, Perspektivbewegungen er einführt: seine Menschen erfreuen sich nicht der
natürlichen Freiheit von Dürers Geschöpfen. Sie hängen in dem Viereck des Bildfeldes wie in einem Netz,
und die Ordnung in diesem Netz steht über allem. Deshalb ist Baidung von Anfang an prädestiniert für
die Glasmalerei, die Scheibenform.

Bezeichnend, was er vor allem von Dürer zu gewinnen sucht: anatomische und perspektivische An-
schaulichkeit soviel als möglich dem Körperlichen einzuverleiben, ohne doch jenes Netz zu zerreißen.
Was er unmittelbar übernimmt, sind demgemäß Figurenmotive, Stücke und Teile, die er doch zugleich
derart umdeutet, daß der Zusammenhang so oft bis heute unbemerkt blieb: nur an die Holzschnitte der
>Rasenbank-Maria< oder des >Martin< sei da erinnert, und an das Pariser >Reiterpaar<.

Ein weiteres bindendes Element seiner Figurengestaltung ist die Tendenz zur Körpergeometrie. Bei
der Baseler Landsknecht-Zeichnung von 1505 war die Rede davon, wie bei den trikotüberspannten
Schenkeln Zylinder und Kegelstumpf als Idealform anklingen. Und schon bei den Köpfen der Blätter von
1504 zeigt sich die Neigung zu kubischem Schädelbau mit Kantungen zwischen Vorder- und Seiten-
flächen und mit Breitflächigkeit im En-face. Nach einzelnen Phasen verschieden, ist das Körperliche bald
mehr mit Kubus und Quader, bald mehr mit Kugel und Ellipsoid 'Unterbaut“. Damit ergeben sich jeweils
verschiedene Flächenprojektionen zur geraden Kante oder zur Kreisform. Aber nur selten fehlt ein geo-
metrisch stihsierender Zug dieser Art ganz und gar. Insofern haben seine Figuren aller Flächenstrenge
zum Trotz Relief und Tiefe in einem sehr besonderen Sinn.
 
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