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ZU BALDUNGS PERSÖNLICHKEIT

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Damit steht auch Baidungs Verhältnis zum Räumlichen überhaupt in Zusammenhang. So intensive
Bühnenperspektiven er fallweise von Dürer übernimmt - schon bei der Baseler Marien-Zeichnung von
1504 oder dem>Kalvarienberg< des beschlossen Gart< von 1505, erst recht in der dämonischen Phase um
1506/07: immer fehlt auch da die unbefangene Illusion, das In-den-Raum-hinein-Gezogensein des Be-
trachters; immer wirkt das Räumliche wie zu einem Momentbild erstarrt, wie eine Projektion in die
Fläche. Hauptmittel dafür sind orthogonale Verkürzungen (deren in die Fläche kippende Wirkung
K. Rathe190 erkannt hat), sind in starrem En-face aus dem Bild blickende Köpfe: menschliche, wie schon
der des Aristoteles von 1503 und des mittleren Königs der Hallenser >Epiphanie<; tierische, wie die
Pferdeköpfe des Martin-Holzschnittes oder auch der Berliner >Reitergruppe<. Ähnlichen Wirkungen
dient das 'mehr als verlorene“ Profil, wie es zuerst der Bremer > Fahnenträger< von 1504 zeigt.

Was für das Räumliche, gilt auch für die Dynamik der bewegten Figur. Auch sie, mag sie selbst so
heftig sein, wie bei den Holzschnitten des > Speculum< oder bei dem Reiterbild von 1508, wirkt immer
wie im Augenblick erstarrt. Hierher gehört die bei dem > Scheurischen Schmerzensmann< und der
Landsknecht-Zeichnung von 1504 auftretende Gliederpuppenbewegung, wie sie noch den Sebastian des
zweiten Hallenser Altars auszeichnet.

Immer wieder ist die von Baidung provozierte Wirkung dank dieser Mittel das Erschrecken. Dem
Schockierenden ist, gerade im Vergleich mit Dürer, bei Baidung eine Sonderbedeutung eingeräumt.

Es wäre müßig zu fragen, wie weit dieses Formgefühl von dem geistigen Menschenbild Baidungs her
bestimmt ist oder wie weit es selbst den Ausgangspunkt bildet. Jedenfalls gehören die Ausdruckszüge, die
er seinen Gestalten verleiht, notwendig jenen Formelementen zu.

Seelische Isolierung entspricht der umrißhaften und geometrischen Gebundenheit. Baidungs Gestalten
sind immer einsam, halten sich zumeist in sich selbst zurück, finden keinen Kontakt zueinander. Das Kühle
dominiert, ohne Erhitzung auszuschließen. Auch wenn sich die Gestalten frontal aus dem Bild wenden,
suchen sie nicht den Beschauer, sondern durchschauen ihn oder blicken an ihm vorbei, nach innen. Das
Gebannte, das sie besitzen, bannt auch uns, ohne daß das Bildnetz als Isolierschicht je verschwände. In
diesem Sinn gibt es bei Baidung nie die Guckkasten-Illusion, wie so sehr bei Dürer, sondern stets nur eine
Projektion: auch im seelischen Bereich.

Das Gebannte, das Erstarrte und das geometrisch Geformte oder Bewegte sind also zentrale Dar-
stellungsweisen. Auch von da aus ist das verlorene Profil bezeichnend. Es entmenschlicht in radikalem
Maß, wie später bei Breughel. Sinngemäß wendet es Baidung bei Schergen und Landsknechten vor
allem an.

In diesem Zusammenhang steht auch seine Dürer übertreffende Gabe zur Symbolprägung. Die drei
>Passions-Holzschnitte< der großen Serie, in ihrer Gegensetzung zu den doch vorbildlichen Szenen der
> Grünen Passion< Dürers, sind erste Beispiele dafür.

Glasfenster und Holzschnitt, die beiden Kontur- und Umrißtechniken, kommen seiner Begabung
am meisten entgegen.

Schwerer ist auf Grund der wenigen frühen Gemälde seine Art als Maler zu charakterisieren. Sie
gewinnt erst in der Straßburger Zeit ihre endgültige Individualität. So viel aber lassen die noch ganz
dürerischen Schwabacher Bilder wie die von Cranach berührten Hallenser Altäre sagen, daß Baidung
von Anfang an ein Maler in Farbflächen war. Auch hier, deutlich freilich erst bei seinen späteren Wer-
ken, nimmt er etwas von Breughel vorweg. Nicht zufällig tritt gegenüber Dürer der Kupferstich so stark
 
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