Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
86

ZU BALDUNGS PERSÖNLICHKEIT

zurück. Nur in der burlesken Phase, mit dem>Ungleichen Liebespaar< und dem>Greis im Fenstert, wird
er belangvoll. Sachliche und illusionsreiche Schilderung der Epidermis ist im übrigen nie Baidungs Ziel.
Der Stich läßt zu wenig Linien- und Flächenstilisierung zu, zu wenig sinnbildliche Themendeutung;
deshalb steht er hinter Holzschnitt und Scheibe wie hinter der Federzeichnung zurück.

Auch für die Themenkreise ergeben sich aus dem Gesagten einige besonders begünstigte Möglich-
keiten. Hierher gehört der durch Sinnenwahn gebundene Mensch, wie der Aristoteles von 1503, wie das
Ungleiche Liebespaar von 1507, wie das Reiterpaar in Paris. Auch der Greis im Fenster von 1508 ist
ein Gefangener, was immer der seltsame Stich im speziellen bedeuten mag. Der durch seine Vergäng-
lichkeit gebundene Mensch, nach dem das Gerippe greift, ist die andere Variation. Von der >Modeneser
Zeichnung< des Jahres 1503 an bezeichnet die Todesgestalt schon Baidungs frühes Schaffen, bis zu dem
Pariser >Reiterpaar< von 1508 und dem Wiener Gemälde mit Schönheit und Tod von etwa 1509. Das
zweite Jahrzehnt wird noch großartigere Vergänglichkeitsvisionen bringen, und sie dauern in den Lebens-
alterbildern bis zu des Meisters eigenem Ende. Daß aber schon der Zwanzigjährige von diesem Vanitas-
gedanken fasziniert ist, bezeichnet ihn.

Verwandt damit ist das seine religiöse Phantasie am stärksten fesselnde Thema: Der Schmerzens-
mann und der zu Tode gequälte Christus. Von dem Scheurischen Blatt um die Wende 1503/04 an tritt
der Schmerzensmann auf und findet in dem lebendigen1 Leichnam der Zeichnung von 1506/07 seine
schockierendste, wahrhaft schöpferische Variation. Ihm ist verschwistert der Kruzifixus und der Christus
der Marienklage. Diese Schmerzensbilder Christi haben eine Entsprechung in dem herrhchen Frontalkopf
der Pariser Zeichnung, etwa zu einer Auferstehung. Bei aller Schönheit und Gelassenheit ist auch diesem
Jesushaupt etwas von Todernst gegeben.

Am Gegenpol stehen die Schergen und Henker in der sakralen, und die Landsknechte in der profanen
Zone. Hier treten Skepsis und Kälte hervor, schon seit den frühen Zeichnungen von 1504, erst recht um
die Wende 1506/07, und später. Das Rohe und Mörderische wird nicht so sehr als Ausfluß persönlicher
Schlechtigkeit gesehen, denn als auferlegte Satanie. In dieser Zone kommt es zu wieder schockierenden
Divergenzen, wie bei dem >Baseler Landsknecht von 1505, mit dem Gegensatz von jugendschlanker
Körperschönheit und rohem Angesicht.

Analoge Spannungen umfaßt die Darstellung des Weibhchen von den Marien bis zu dem Stich mit
dem ungleichen Paar. Bei der Baseler >Maria< von 1504 prägt Baidung zum erstenmal seinen sehr
undürerischen Typus des Damenhaften. Er kehrt, klassisch erhöht, bei der > Schwabacher Katharina<
wieder, dann, im Zeichen Cranachs, weniger tief gefaßt, bei den Frauen der Hallenser Altäre. Daneben
gibt es jenen anderen Marientypus, der auf das Treuherzige, Bürgerliche zielt, pausbäckig und humil,
am reinsten bei der >Epiphanie< des Löffelholz-Fensters und wieder bei der »Hallenser Epiphanie< von
1507 in Berlin. Gerne stellt Baidung diese beiden Frauentypen einander in Paaren gegenüber: so bei den
Holzschnitten mit Katharina und Barbara, so bei den Schwabacher Flügeln. Stets bleibt die rundköpfige
und naive Fassung Dürer näher; aber auch da erfährt das Weibliche nie so viel einfühlende Teilnahme
von seiten des Künstlers, wie sie Dürer seinen heiligen Frauen entgegenbringt. Sie ruhen geschlossener
in sich, sind stummer. Das gilt auch im profanen Bereich. Neutral hält sich die Göttin der Zeichnung
aus der Sammlung Liechtenstein (denn als heidnische Person wird man sie wohl deuten dürfen, wenn
man an ihre Nachfolge in den allegorischen und endhch hexenhaften Helldunkelzeichnungen des zweiten
Jahrzehnts denkt). Mit Neutralität werden auch die frechen Frauen gesehen: so schon die Phyllis von
 
Annotationen