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ZU BALDUNGS PERSÖNLICHKEIT

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1503, so die Hübschlerin des >Ungleichen Paares<, so endlich die Geliebte des Pariser Reiters, die mit
verlorenem Profil wie ein Blatt vom Pferde gleitet, dem Tod in die Arme.

Aus dieser Distanz zu seinen Geschöpfen - und wie anders ist Dürer mit seiner ausströmenden Zu-
neigung zu allem Geschauten und Geschaffenen, auch noch zum Fragwürdigsten - beruht zum Teil die
spezifische Schönheit von Baidungs Form. Sie kulminiert innerhalb der ganzen Nürnberger Jahre in
der klassischen Phase von 1505/06. In der gelassenen Stille seiner Menschenfiguren mit ihren großen,
ganz harmonisierten Mantelmotiven, mit ihrer Bindung in klar und streng gebauten Kompositionen
ausgewogener Symmetrie entfaltet sich zuerst die Kraft des Sinnbildes. Diese Möglichkeit hegt, wie das
Klassische wohl immer, in der Mitte, nicht auf einem Pol. Polar sind innerhalb der Frühzeit das Dämo-
nische und das Burleske. Das Dämonische klingt bei der Maske des Baseler >Hl. Bartholomäus< von
1504 auf, wenig später bei dem Baseler >Tod<; dann zuckt es aus dem Helldunkel des > Grüßenden Lands-
knechts! von 1505 und wird schlechthin beherrschend um 1506/07. Auch noch bei dem Stich mit dem
gefangenen Greis und bei dem Pariser >Liebespaar< steht es im Hintergrund. Überwiegend aber wird
bei diesen Arbeiten von 1508 und den übrigen Schöpfungen dieses Jahrs doch jener Zug zum Burlesken
und Anekdotischen, zu einer menschlich niedrigeren, mit mehr Anschaulichkeit und Laune gezeichneten
Welt. Aber Baidungs Humor ist nicht ohne Verächtlichkeit, und wieder von jenem Dürers tief unter-
schieden, der aus der Wärme der Anteilnahme auch noch am Schrulligen und Sonderhchen aufsteigt.

Die Kirnst des Verhexens und Verzauberns ist schon dem Jungen verliehen. Gleich bei dem > Aristo-
teles-Blatt! von 1503 vexiert er mittels der Draperie, schon der Baseler »Landsknecht! von 1505 ist wie
elektrisch geladen, und mit wechselnder Intensität gilt das von den Holzschnitten des »Speculum.!, wie
von der Hallenser »Epiphanie! oder dem Pariser »Reiter-Bild!.

Das Gesagte macht begreiflich, daß gerade Baidung befähigt war, schon mit dem Beginn des dritten
Jahrzehnts den Manierismus in der deutschen Malerei zu inaugurieren.

Es bestätigt auch, was in der Einleitung über seine Aktualität angedeutet wurde, oder, genauer,
eine Affinität zu den nachexpressionistischen Richtungen seit der Neuen Sachlichkeit und der Prägung
des Existentialismus. Erstaunlich, wie viele Begriffe und Schlagworte sich nahelegen, die uns seither
gewohnt sind. Das Geworfensein und die Einsamkeit seiner Menschen, die Lust am Verfremden mid am
Schockieren, am Vexierspiel, an der Chiffre, auch an dem, was das gesprochene Wort mit dem ’Wurm
drin“ meint. Nicht nur das reife Schaffen Baidungs wird davon betroffen, schon im Frühwerk kündigt
sich das meiste an.

Freilich, nirgends trifft diese Aktualität den Kern. Baidungs ’Hexerkunst“ ist von aller Schwarzgründig-
keit und von allem Absurden des zwanzigsten Jahrhunderts dem Wesen nach getrennt. Sie betrifft Rand-
spannungen. Sonst wäre er nicht ein auch in rehgiösem Bereich genialer Typenschöpfer, wie es sein
Christusbild so eindringlich demonstriert. Von da aus ist seine Art des Vergänglichkeitsdenkens bestimmt.
Und damit allein schon gewinnen jene aktuell berührenden Züge einen dienenden Aspekt, eine geringere
Selbstwertigkeit. Sie mögen gut und gern zum Anreiz für das Eindringen in Baidungs Schöpfungen
dienen; rasch genug korrigiert sich dabei das uns nur scheinbar gleichende Bild dieses Geistes.

Über dem Nürnberger Frühschaffen besonders hegt noch die Harmonie des klassischen ersten Jahr-
zehnts in einer durch Dürer festgelegten fränkischen Ausprägung. Das südwestliche Stammesgefühl
Baidungs und das, was bei ihm den Manierismus vorankündigt, bleibt darin eingebunden, befreit sich
erst später.
 
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