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Sakrale und sittliche Pflichten.

oder Sein gefordert wird; dem sittlichen Gebot einen davon unab-
hängigen, ihm an sich zustehenden Anspruch auf Gehorsam zuzu-
schreiben, liegt den vedischen Theologen natürlich fern. Auf jene
Frage nun ist, wie bekannt, für die Brähmanas die nächstliegende
Antwort: man soll opfern, sakralen Zauber treiben, alle Tabus ver-
meiden — keine kleine Aufgabe —, das dazu gehörige sakrale Wissen
erwerben; das Ideal ist nicht sowohl der Fromme oder der Weise,
als vielmehr der Opferer und der Wissende. Die Aufmerksamkeit
auf sittliche Pflichten, auf Tugenden steht dem gegenüber im Hinter-
grund; sie wird reger erst, wo man sich vom kultischen Gebiet und
von dem der priesterlichen Interessen zu entfernen anfängt, in den
Upanishaden. Wenn wir demnach in den Brähmanas begreiflicher-
weise, wie schon früher bemerkt, von Pflichten und Tugenden sehr
viel weniger hören als von Gütern — um deren Erlangung handelt
es sich ja eben beim Opfer —, so ist ferner gleichfalls verständlich,
daß wiederum Pflichten immer noch eher zur Sprache kommen, als
Tugenden. Was man tut, drängt sich der Aufmerksamkeit früher,
sichtbarer auf, als wie man ist. So steht ja auch die Fähigkeit,
menschliche Charaktere aufzufassen und zu schildern, jetzt noch ganz
in den Anfängenr.
Die selbstverständlich zu erwartende Ungetrenntheit der religiös-
sakralen und der ethischen Vorstellungen hinsichtlich der Frage, wie
der Mensch handeln soll, tritt sehr deutlich beispielsweise in den
Upanishaden hervor. Wie dem ewigen Wesen, wird dort gesagt,
Sonne, Mond, Ströme gehorchen, so folgt seinem Gebot der Frei-
gebige, der Vollzieher des Götteropfers, der Darbringer der Toten-
spende (LLII. III, 8, 9); also unter den Regeln menschlichen Han-
delns, die den Naturordnungen parallel sind, steht das — nach
unsrer Ausdrucksweise — sittliche Gebot der Freigebigkeit2 und
die Kultvorschrift des Opferns, beide ja schon von altersher im
Kompositum istüMrta (Opfer und Spende) zusammengeschlossen,

1. Es wäre der Mühe wert, diese Anfänge und die daran anknüpfenden
Fortschritte in der älteren indischen Literatur einmal zusammenhängend zu be-
trachten. Wie spärlich ist noch, was die Upanishaden bieten — man denke etwa
an die kurze Charakteristik von Mjüavalkyas beiden Frauen oder des aufgebla-
senen Lvetaketu. Einen Schritt weiter gekommen ist die altbuddhistische Literatur.
Doch kann das alles hier natürlich nicht näher verfolgt werden.
2. Hier allerdings ist offenbar besonders an Freigebigkeit gegen den Priester
gedacht und das Gebot dadurch der kultischen Sphäre angenähert.
 
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