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zimmer. Trotzdem konnte er um Mitternacht
die Brösel in der Blechbüchse und unter
schnöder Hintansetzung Gustav Mahlers das
„Puppchen“ nicht überhören, obwohl doch diese
vermaledeite Platte neben ihm auf dem Nacht-
kästchen lag.

Schäumend sauste er frühmorgens ins Kre-
matorium. Als er erzählte, was die Aschen-
urne alles könne, riet der Direktor zu einem
Gastspiel in einem Variete und schien über-
rascht, als Meller bösartig wurde.

„Beruhigen Sie sich doch,“ begütigte der
Direktor, „Ihr seliger Herr Großvater ist . . .“

„Das ist kein Großvater mehr, das ist ein
Niespulver“, brüllteMeller und warf der Firma
unsolide Ausführung des Auftrags vor. Er war
der Ansicht, daß man den alten Herrn nicht
lange genug in der Verbrennungskammer ge-
lassen habe, weil störende Reste von Agilität
noch immer vorhanden seien. Der Direktor
versicherte, daß ein Verbrennungsprozeß von
anderthalb Stunden bei dem widerhaarigsten
Toten genügt hätte, um jeden Auftrag ohne den
geringsten Anstand zu effektuieren. Meller
verlangte erbost eine Erklärung des nächtlichen
Spuks und der Direktor schlug sanftmütig „Erd-
ströme“ vor, die mit Vorliebe für die verschie-
densten rätselhaften Zwischenfälle verant-
wortlich gemacht werden. Der wissenschaft-
lich mangelhaft unterrichtete Beschwerde-
führer gab sich damit nicht zufrieden, das
T reffen verlief resultat-
los, die Gegner schieden
unversöhnt.

Die dritte Nacht ver-
setzte das ganze Haus in
Aufregung, weil Arnold
in seinem gestörten
Mannesempfinden mit
dem Revolver nach dem
Grammophon schoß, es
aber durch die geschlos-
sene Tür wiederholt
verfehlte. Man ent-
schloß sich zu einer
anderen Allerweltser-
klärung und holte einen
Neuropathologen.

Der Gelehrte strich sich seinen Bart und
starrte Arnold beharrlich an. Gestützt auf
eine großzügige, phalloide Weltanschauung,
bekundete er ausschließlich für das Eheleben
des Paares das lebhafteste Interesse und legte
mühelos die V/urzeln des Spuks bloß.

„Der Großvater Ihrer Frau hat durch seine
nächtliche Ruhelosigkeit den ungestörten Ver-
lauf Ihres . . . hm . . . Ehelebens empfindlich
beeinträchtigt, so daß die fixe Idee der Störung
auch nach Wegfall der Ursache als Erinne-
rungsbild in Ihnen haften geblieben ist. Der
Kampf gegen die vermeintlichen Geräusche ist
eine Ersatzhandlung für die Erfüllung Ihrer . . .
hm . . . Pflichten, deren Sie durch die groß-
väterliche Unruhe entwöhnt waren. Bestatten
Sie die Aschenkapsel auf dem Friedhof, so
werden mangels eines Anknüpfungspunktes für
Ihre Einbildungen bald geordnete Verhältnisse
in Ihrem . . . hm . . . Empfindungsleben ein-
treten.“

„Ich bin nicht wahnsinnig,“ protestierte
Arnold, „meine Frau hat alles genau so gehört
wie ich.“

„Sie glaubt, gehört zu haben“, sagte milde
lächelnd der Gelehrte, strich sich seinen Bart
und starrte Arnold beharrlich an. „Sollten Sie
nie etwas von psychischer Infektion bei Neu-
rasthenikern gehört haben?“

DadieDinge solagen, gabFrauKätesofort die
Einwilligung zur Bestattung der Aschenkapsel.

„Das hätte ich ohne
Psychiater auch ge-
wußt“, meinte der un-
dankbare Arnold, als er
di e i mp os ante Rechnung
des Neuropathen er-
hielt. „So was läßt einen
ja nur in Ruhe, wenn es
einen soliden Grabstein,
einige Zentner schwer,
über sich hat.“ Die
M armorurne schenkte
er einem befreundeten
Journalisten, der sie als
Tabaktopf benützt und
höchlich damit zufrie-
den ist.

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