I. KAPITEL: DIE TOTENTANZZYKLEN IN LÜBECK UND REVAL
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Federhut; 2. Tracht und Haltung des Revalet Königs sind in Lübeck etwas entstellt (272); ß. Er-
findungen Wortmanns sind sicherlich auch die drei kleinen barock gekleideten Figürchen zwischen
dem Wucherer und dem links von ihm schreitenden Tod; 4. der Landschaftshintergrund wurde
in Lübeck vereinfacht. Auf Grund dieser Feststellungen läßt sich vermuten, daß Wortmann auch
jene Teile des gotischen Originalzyklus etwas abgewandelt hat, die verloren sind. Heise hat das
insbesondere für die etwas steif wirkenden und dadurch der nachweislich veränderten Königshgur
ähnelnden Gestalten von Bischof, Abt, Ritter, Karthäuser und Bürgermeister behauptet. Doch
geht diese Behauptung meines Erachtens zu weit. Überhaupt läßt sich angesichts der recht ge-
nau miteinander übereinstimmenden Revaler und Lübecker Figuren von Papst, Kaiser, Kaiserin
und Kardinal und angesichts der sehr sorgfältig wiedergegebenen spätgotischen Trachten der
Lübecker Kopie sagen, daß die Motive des Originals in der Kopie annähernd getreu beibehalten
sein dürften; insbesondere muß das schöne Stadtbild von Lübeck bereits auf dem Original vor-
handen gewesen sein (27ß).
Der gelungene Nachweis, daß ein Teil des Lübecker Originals in Reval erhalten ist und daß an
diesem Revaler Zyklus trotz vollständiger Übermalung die ursprünglichen Merkmale doch noch
ganz deutlich „durchschimmern", ermöglichte eine stilkritische Beantwortung der Frage nach dem
Maler des berühmten Werks. Heise erkannte in dem Revaler Original und auch in der Lübecker
Kopie den Stil der besten Gemälde des Aarhuser Hochaltares sowie zweier von einem Dreifaltig-
keitsaltar aus St. Marien stammender Flügelgemälde im Lübecker St. Annen-Museum. Er schrieb
deshalb den Urtotentanz dem Schöpfer dieser Gemälde zu, d. h. dem Bernt Notke. Seine Gründe
dafür sind folgende.
1. Die Übereinstimmung der Typen des Totentanzes mit den Typen der anderen Werke. Vgl.
Heises Abbildungen 4 und $ auf S. 194 und 19$ (Revaler Kaiser und Gottvater vom Lübecker
Dreifaltigkeitsaltar). Ebenso auffallend erscheint mir die Ähnlichkeit zwischen dem Revaler König
(Heise, Abb. 6, S. 19$) und dem Henker der Aarhuser Enthauptung Johannes des Täufers. Abb.
Bezeichnend ferner die Vorliebe für überaus reichen, kapriziösen Kopfputz und Brustschmuck
(Revaler Kaiserin, Propheten am Lübecker Dreifaltigkeitsaltar), die Heise mit Recht hervorhebt; Abb.
dieselbe Vorhebe für üppigen Schmuck kennzeichnet bekanntlich auch die Skulpturen Notkes
(Hamburger Ansgar, Wappenengel und hl. Maria Magdalena am Lübecker Triumphkreuz, Stock-
holmer St. Jürgen!).
2. Die Übereinstimmung charakteristischer Einzelzüge des Totentanzes mit entsprechenden Moti-
ven der anderen Gemälde. Von Heise wurde da insbesondere die Übereinstimmung der Hand-
272) Das doppelte, aus einem Ärmelrock und einem ärmellosen Überrock bestehende Gewand, das im
1$. Jahrhundert getragen und häuhg dargestellt wurde, ist in einen Talar mit Ärmeln verwandelt und das
Mäntelchen in ganz ungebräuchlicher, wenig überzeugender Weise mit einer kleinen Agraffe festgeheftet
worden.
273) Nach freundlicher Mitteilung von Dr.-Ing. Hugo Rahtgens stellt das Stadtbild des Lübecker Toten-
tanzes die Stadt Lübeck im allgemeinen so dar, wie sie 1463 aussah. Bezeichnend dafür, daß am Mühlentor
das dritte, äußerste, erst nach 1463 errichtete Tor noch fehlt und daß das äußere Burgtor, das im 17. Jahr-
hundert abgebrochen wurde, noch dargestellt ist. Nur Einzelheiten sind vom Maler der Kopie so abgeändert
worden, daß sie dem Stadtbild des beginnenden 18. Jahrhunderts entsprechen. So haben die Domtürme die
1 $00 bis 1612 zugefügten Ecktürmchen und so finden sich am Turmhelm von St. Jakobi die erst 16$ 8 ange-
brachten Kugeln. Auf Grund dieser Beobachtungen hat Rahtgens das Stadtbild des Totentanzes für eine
im wesentlichen getreue Kopie nach dem Original von 1463 und für das Vorbild des berühmten Lübecker
Stadtbildes auf Rodes Revaler Altar (1482) erklärt.
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Federhut; 2. Tracht und Haltung des Revalet Königs sind in Lübeck etwas entstellt (272); ß. Er-
findungen Wortmanns sind sicherlich auch die drei kleinen barock gekleideten Figürchen zwischen
dem Wucherer und dem links von ihm schreitenden Tod; 4. der Landschaftshintergrund wurde
in Lübeck vereinfacht. Auf Grund dieser Feststellungen läßt sich vermuten, daß Wortmann auch
jene Teile des gotischen Originalzyklus etwas abgewandelt hat, die verloren sind. Heise hat das
insbesondere für die etwas steif wirkenden und dadurch der nachweislich veränderten Königshgur
ähnelnden Gestalten von Bischof, Abt, Ritter, Karthäuser und Bürgermeister behauptet. Doch
geht diese Behauptung meines Erachtens zu weit. Überhaupt läßt sich angesichts der recht ge-
nau miteinander übereinstimmenden Revaler und Lübecker Figuren von Papst, Kaiser, Kaiserin
und Kardinal und angesichts der sehr sorgfältig wiedergegebenen spätgotischen Trachten der
Lübecker Kopie sagen, daß die Motive des Originals in der Kopie annähernd getreu beibehalten
sein dürften; insbesondere muß das schöne Stadtbild von Lübeck bereits auf dem Original vor-
handen gewesen sein (27ß).
Der gelungene Nachweis, daß ein Teil des Lübecker Originals in Reval erhalten ist und daß an
diesem Revaler Zyklus trotz vollständiger Übermalung die ursprünglichen Merkmale doch noch
ganz deutlich „durchschimmern", ermöglichte eine stilkritische Beantwortung der Frage nach dem
Maler des berühmten Werks. Heise erkannte in dem Revaler Original und auch in der Lübecker
Kopie den Stil der besten Gemälde des Aarhuser Hochaltares sowie zweier von einem Dreifaltig-
keitsaltar aus St. Marien stammender Flügelgemälde im Lübecker St. Annen-Museum. Er schrieb
deshalb den Urtotentanz dem Schöpfer dieser Gemälde zu, d. h. dem Bernt Notke. Seine Gründe
dafür sind folgende.
1. Die Übereinstimmung der Typen des Totentanzes mit den Typen der anderen Werke. Vgl.
Heises Abbildungen 4 und $ auf S. 194 und 19$ (Revaler Kaiser und Gottvater vom Lübecker
Dreifaltigkeitsaltar). Ebenso auffallend erscheint mir die Ähnlichkeit zwischen dem Revaler König
(Heise, Abb. 6, S. 19$) und dem Henker der Aarhuser Enthauptung Johannes des Täufers. Abb.
Bezeichnend ferner die Vorliebe für überaus reichen, kapriziösen Kopfputz und Brustschmuck
(Revaler Kaiserin, Propheten am Lübecker Dreifaltigkeitsaltar), die Heise mit Recht hervorhebt; Abb.
dieselbe Vorhebe für üppigen Schmuck kennzeichnet bekanntlich auch die Skulpturen Notkes
(Hamburger Ansgar, Wappenengel und hl. Maria Magdalena am Lübecker Triumphkreuz, Stock-
holmer St. Jürgen!).
2. Die Übereinstimmung charakteristischer Einzelzüge des Totentanzes mit entsprechenden Moti-
ven der anderen Gemälde. Von Heise wurde da insbesondere die Übereinstimmung der Hand-
272) Das doppelte, aus einem Ärmelrock und einem ärmellosen Überrock bestehende Gewand, das im
1$. Jahrhundert getragen und häuhg dargestellt wurde, ist in einen Talar mit Ärmeln verwandelt und das
Mäntelchen in ganz ungebräuchlicher, wenig überzeugender Weise mit einer kleinen Agraffe festgeheftet
worden.
273) Nach freundlicher Mitteilung von Dr.-Ing. Hugo Rahtgens stellt das Stadtbild des Lübecker Toten-
tanzes die Stadt Lübeck im allgemeinen so dar, wie sie 1463 aussah. Bezeichnend dafür, daß am Mühlentor
das dritte, äußerste, erst nach 1463 errichtete Tor noch fehlt und daß das äußere Burgtor, das im 17. Jahr-
hundert abgebrochen wurde, noch dargestellt ist. Nur Einzelheiten sind vom Maler der Kopie so abgeändert
worden, daß sie dem Stadtbild des beginnenden 18. Jahrhunderts entsprechen. So haben die Domtürme die
1 $00 bis 1612 zugefügten Ecktürmchen und so finden sich am Turmhelm von St. Jakobi die erst 16$ 8 ange-
brachten Kugeln. Auf Grund dieser Beobachtungen hat Rahtgens das Stadtbild des Totentanzes für eine
im wesentlichen getreue Kopie nach dem Original von 1463 und für das Vorbild des berühmten Lübecker
Stadtbildes auf Rodes Revaler Altar (1482) erklärt.