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DIE WIEDERERWECKUNG DER MEDAILLE

Ein Gähnen pflegt den deutschen Kunstfreund auzuwandeln, wenn er an die moderne
Medaille erinnert wird. Die Münzkabinette der Museen sammeln sie nicht mehr, es sei denn aus
lokalhistorischen Rücksichten. Ein Privatmann, der eine Sammlung moderner Medaillen pflegt,
erwirbt sich durch diese Thätigkeit kein höheres Ansehen als wenn er seine Neigung der Brief-
marke zugewendet hätte. Wer auf einer Ausstellung oder bei einem sonstigen Anlass mit einer
Medaille belohnt wird, legt sie in die Schublade und vergisst sie, er könnte sie denn als Geschäfts-
reklame verwenden. Aus alter Gewohnheit wird bei Krieger- und Schützenfesten das zinnerne
Erinnerungszeichen gekauft, einen Tag getragen und dann den Kindern zum Spielzeug geschenkt.
Bei der Herstellung der Medaille waltet kaum noch die Absicht ein Kunstwerk zu schaffen.

Nicht einmal aus der Kunstgeschichte pflegt heute der Gebildete zu erfahren, dass
einst die Medaille einer der vornehmsten und zugleich volkstümlichsten Zweige der Sculptur
war, denn in den gebräuchlichen Handbüchern wird ihr Wesen und ihre Bedeutung nicht hin-
länglich gewürdigt.

Die Medaille teilt diese gleichgültige und oberflächliche Behandlung in Deutschland mit der
gesamten Sculptur. Freilich werden bei allen möglichen Anlässen Medaillen geschlagen, wie es ja auch
an Aufträgen für die Sculptur nicht mangelt. Denkmäler aller Art, namentlich dekorative Arbeiten
giebt es die Hülle und Fülle, da die Architektur sich bei uns um so verschwenderischer mit
plastischen Ornamenten zu beladen pflegt, je weniger sie über die ihr eigentümlichen Mittel
Herrin ist. Aber gerade dort, wo sie am kräftigsten gedeihen müsste, wird wie die Sculptur
so auch die Medaille nicht gepflegt. Denn aus dem Hause und aus der Familie sind sie ver-
schwunden, und die Sammlungen moderner Kunst die jetzt fast überall in Deutschland aus öffentlichen
Mitteln vermehrt werden, haben zwar seit zwei Generationen ziemlich planlos und seit Kurzem
hie und da mit Umsicht Gemälde gesammelt, aber für die lebende Sculptur so gut wie nichts
gethan. Was bedeutet der kleine Saal mit Marmor- und Bronzearbeiten in der Nationalgalerie,
die einzige Sammlung moderner Sculptur in edlem Material, die wir besitzen? Der Brauereibesitzer
Jacobsen in Kopenhagen hat mehr für die moderne Sculptur gethan als sämtliche deutsche Museen
zusammengenommen.

Dieser klägliche Zustand in Deutschland hängt jedoch nicht etwa mit einem Mangel unserer
nationalen Begabung zusammen. Es ist wahr, das deutsche Volk würde kaum empfinden, dass
ihm etwas fehlte, wenn unsere Bildhauer mit einem Schlage zu schaffen aufhörten. Aber so stand
es nicht immer um das Gefühl für die Bildhauerkunst. Wenn ein ausländischer Künstler unsere
Kulturstädte durchwandert, so pflegt er von den alten Bildhauerarbeiten in Bremen und Lübeck,

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