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Vortrag, in dem er alle Mängel des bis dahin classischen Medaillenstils schonungslos geisselte, die
geschmacklose Schrift, die weder durch ihren Inhalt noch durch ihre Anordnung mit der Dar-
stellung zu einem dekorativen Kunstwerk zusammengeht; die Politur und den hohen Rand, der
zu der ungebührlichen Erhöhung des Reliefs zwingt und doch nicht nötig ist, da die Medaille
nicht als Münze in Rollen verpackt wird. Als Vorstand der Münze verlangte er Abstellung
dieser Mängel, um der künstlerischen Behandlung der Medaille freie Bahn zu schaffen.

Ein heftiger Kampf zwischen den Vertretern des Alten, bestehend aus den Graveuren und
den Beamten der Münze, und den Verfechtern der neuen Ideen, an deren Spitze damals Hubert
Ponscarme stand, hatte durch diese Sitzung seinen Abschluss gefunden. Die Münze musste sich
fügen. Damit war Alles gewonnen, denn in ganz Frankreich darf nur an einer Stätte geprägt
werden, in der Pariser Münze. Und was diese zurückweist, kann überhaupt nicht ausgeführt werden.

Die neuen Ideen hatten sich langsam vorbereitet. David dAngers mit seinen Bildnismedaillons
hatte eine freiere Behandlung des Reliefs von etwa 1830 an gewagt und viele Nachfolger unter
den Bildhauern gefunden. Von diesen hatten besonders Paul Dubois in einigen köstlichen Medaillons
um 1860 und vor allem Chapu in der langen Reihe seiner von Jahr zu Jahr persönlicher und
malerischer werdenden Portraitmedaillons einen neuen Typus aufgestellt, der nur in die Medaille
eingeführt zu werden brauchte. Dann kam in den sechziger Jahren die grosse Erregung
hinzu, in der die moderne Bildhauerschule ^~~.r-^»^_ der Franzosen die Fesseln der Tradition
sprengte, sodass es nur der Schicksals- jf£\ fyK stunde bedurfte, um den Funken nach

der Seite der Medaille überspringen Jm %k zu lassen. — Dass dies geschehen, ist

Hubert Ponscarmes Verdienst. Er M -Jäk hatte bereits eine Ausstellungs-

medaille mit dem nach neuen M MRsS^^-- M Grundsätzen modellierten Bildnis

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Napoleons geschaffen, als ihm die B ■ Münze die Prägung der jetzt mit

Recht so berühmten Medaille auf w& Naudet verweigerte, weil sie den

ewigen Gesetzen des Medaillenstils ^B W Hohn spräche. Die Sache kam vor

Dumas. Dieser stellte sich, da seinem ^H pF kultivierten Geschmack die bisherige

Gestalt der Medaille zuwider gewesen, mms^m^ auf die Seite des angeklagten Künstlers,

dessen Vorschläge dem nicht durch die Tradition Befangenen einleuchteten, und

durch sein energisches Eingreifen führte er der Medaille aus der Bildhauerkunst den Strom
neuer Ideen zu.

Es darf dabei nicht übersehen werden, dass die jüngeren Medailleure in ihrem Fach
wohl vorbereitet waren. Männer wie Oudine, der Lehrer einer ganzen Generation, hatten von
ihren Schülern verlangt, dass sie sich auch als Medailleure die grosse, selbständige Erziehung des
Bildhauers geben sollten. Wie kühn er selber, der in der Mitte der sechziger Jahre noch im
alten Stil befangen war, in das neue Gebiet vordrang, zeigen seine letzten Medaillen um 1870.

Und von 1870 ab treten nun, nachdem der Weg bereitet war, nach einander die grossen
Begabungen auf, die die Ernte all der Mühen der ersten Besteller des Bodens einheimsen. Der
hochbegabte, zu früh verstorbene Degeorge; der ernste, männliche J. C. Chaplain, der Freund
Chapus; Daniel Dupuis, der als Medailleur ebenfalls von Chapu ausging und Oscar Roty, der
aus der Medaille ein poetisches Kunstwerk machte, das wie ein Gedicht, wie Musik wirkt.
Chaplain und Roty gehören seit Jahren der Akademie an. Neben ihnen ist nun schon eine dritte
Generation emporgekommen, und aus aller Welt — doch nicht aus Deutschland — strömen die
Schüler nach Paris, um die neue Kunstform an der Quelle zu studieren.

» » *

Dass die Medaille nunmehr ihre alte Volkstümlichkeit wiederzugewinnen sich anschickt, war
bei der Ausstellung der Werke Chaplains und Rotys und ihrer Nachfolger in der Hamburger
Kunsthalle ersichtlich. Kaum je hat eine andere Erwerbung so begeisterte Aufnahme in allen
Kreisen gefunden. Auch ging die Hoffnung, die bei der Anlage der Sammlung ausgesprochen
wurde, schneller als erwartet werden konnte, in Erfüllung. Auf ein von der Kunsthalle einge-

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