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Pan <Berlin> — 1.1895-96 (Heft I und II)

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https://doi.org/10.11588/diglit.3164#0058
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forciertes Gutachten beschloss der Senat schon 1892 die Reorganisation des Hamburgischen
Medaillenwesens im künstlerischen Sinne anzubahnen. Für die neuen Medaillen wurden unter
Künstlern Konkurrenzen ausgeschrieben, bei denen die Bedingungen auf die Abschaffung der
bisherigen Uebelstände hinwiesen.

Da seit kurzem auch in andern deutschen Städten der Versuch gemacht worden ist, vor-
bildliche Werke der führenden Meister aus Paris zu erwerben, so dürfte bei uns bald allerorten
ihr Einfluss zu spüren sein. Nun gilt es aber, nicht in den Fehler der Nachahmung zu verfallen,
sondern nur die Anregung aufzunehmen. Sonst werden wir nur Epigonenarbeit leisten, denn das
gerade macht die Stärke der modernen französischen Medaille aus, dass sie nicht durch Anlehnung
an alte oder neue Vorbilder nachempfunden, sondern aus dem Boden der modernen französischen
Sculptur und Malerei emporgewachsen ist als deren jüngste Blüte.

Wir müssen aus der Beobachtung der Vorgänge in Frankreich lernen, dass die Wieder-
erweckung der Medaille auch bei uns nur die Frucht einer rationellen Pflege der grossen Sculptur
sein kann. Die Talente, die sich bei uns der Medaille widmen, müssen dieselbe vielseitige künst-
lerische Ausbildung erhalten, die die französischen Medailleure befähigt hat, dem Kleinrelief der
Medaille seinen malerischen Charakter zu geben. Wie durchweg alle grossen französischen Bild-
hauer sind auch die Künstler der Medaille ebensogut als Zeichner und Maler wie als Bildhauer erzogen.

Aber die Fürsorge des Staats und eine bewusste Kunstpflege der Gesellschaft und der
Familie vermögen nur zu fördern, nicht zu schaffen, dies bleibt die Aufgabe der Künstler. Mögen
unsere Begabungen, die sich der Medaille zuwenden, bei den französischen Meistern nicht nur das
Vorbild der Kunst, sondern auch das der Gesinnung erkennen. Nicht auf die Initiative des
Staates haben sie gewartet, nicht äusseres Wohlleben und der Besitz von Glücksgütern war ihr
Ziel. Sie haben nichts als ihre Kunst geliebt und in selbstloser Hingebung ein bescheidenes ein-
sames Leben geführt, um ungestört entwickeln zu können, was in ihnen als Begabung und in
in ihrem Fach als künstlerische Möglichkeit schlummerte. Nicht Staatsaufträge, nicht die Arbeit
im Dienste reicher Mäcene haben ihnen die köstlichsten und reifsten Werke entlockt, sondern
Aufgaben, die sie sich selber gestellt haben in den Bildnissen ihrer nächsten Angehörigen und ihrer
liebsten Freunde.

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