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Ich bin im Wald an meiner Lieblingsstelle:
Durch eine Wiese, die von jungen Eichen
Umstanden ist, klungküngklangt eine Quelle.
Die Stille fuhr dem Weltlärm in die Speichen,
Hier ist des Paradieses Geisterschwelle,
Wo Engel sich die kühlen Hände reichen.
Ein Bienchen, oh der wählerische Rüssel,
Schwankt zwischen Teufelsmilch und Himmels-
schlüssel.

Der Abend sinkt. Die Frösche quaken leise.

Im Birkenwäldchen sinnt ein frommer Platz.

Zu Neste fliegt die letzte kleine Meise:

Noch schwingt der schwanke Stiel des Weidenblatts.

Und enger ziehen sich die Schattenkreise;

Wer wartet hier im Busch auf seinen Schatz?
Es schiebt der Mond sich durch die weissen Stämme
Und macht sich schmal, als säss' er in der Klemme.

Wer nähert sich? Wer kommt auf scheuen Sohlen?

Schon Hegt das Mädchen an des Liebsten Brust.

Ich stehe abseits, einsam und verstohlen;

Sie schien des holden Weges kaum bewusst.

Es öffnen sich die schämigen Violen

Und schäkern mit der milden Sternenlust.

Ganz ferne noch ein schwacher Peitschenknall,
Dann hat allein das Wort die Nachtigall.

Des Dirnleins Haupt liegt sanft zurückgeneigt,
Ihr Auge blickt zum Himmel wie verklärt,
Die Nachtigall verstummt und Alles schweigt.
Wie ein Verräther kommt der Wind und fährt
Erkältend, rauh durchs Blätterwerk und zeigt
Ein zitternd Gitter um den Opferherd,

Auf dem ein Flämmchen eben geht zur Ruh,
Die Morgenröthe schaut gelassen zu.

Der Tag ist da, ich bin an alter Stelle:
Auf jener Wiese, die von jungen Eichen
Umstanden ist, durchldungen von der Quelle.
Die Stille fuhr dem Weltlärm in die Speichen,
Hier ist des Paradieses Geisterschwelle,
Wo Engel sich die kühlen Hände reichen.
Die Sonne scheint durchs jungfräuliche Grün
Auf Glockenblumen, die wie Kinder glühn.

Und meine Seele wird so klar und gut,
Unschuldig wie das Gras, worauf ich stehe,
Ruhig bewegt sich meine Herzensfluth,
Versunken sind die vielen Ach und Wehe,
Mir wird so froh, so seltsam wohlgemuth,
Als ob mir Ueberirdisches geschehe.

Nur einmal klingt mir noch ein Sehnsuchtsleid,
Ein Lied fernher, schon aus der Ewigkeit:

Na so wollnmrnochemal, wollnmrnochemal,

Heirassasa,

Lustig sein, fröhlich sein,

Rassassasa!

Verflüstert ist es. Keine Störung mehr.
Neid, Rache, Bosheit läutern sich in Reinheit.
Den Menschen, wie sie schütteln Gift und Speer,
Vergebe ich, vergesse die Gemeinheit.
Verzeiht auch mir! Wollt ihr? Wir sind bons freres,
Wir alle bilden ja die grosse Einheit.

Selbst Emil: komm! gieb mir den Bruderkuss!

Und damit end' ich. Punktum. Streusand. Schluss.
Detlev von Liliencron

C 65 B
 
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