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PARZIVALS
AUSFAHRT

VON

WOLFRAM v. ESCHENBACH

H, wie so mancher mir zum Grame
Wird doch des Weibes schöner Name!
Die Stimme wohl klingt allen hell;
Doch viele sind zur Falschheit schnell
Und wenige von Falschheit rein:
Die sollten doch geschieden sein.
Wie oft mein Herz mit Scham empfand,
Dass alle diese gleich benannt!
Dein echter Brauch, o Weiblichkeit,
Hat immer Treue zum Geleit.

AN sagt, der Hölle Glut vermeidet,
Wer Armut wegen Treue leidet.
Das tat ein Weib, und ewge Gaben
Wird es dafür im Himmel haben.
Frau Herzeloyd, die reiche, Hess
Drei Lande, wo sie Herrin hiess.
Nie hat an ihr zu keinen Stunden
Aug' und Ohr ein Falsch gefunden.
Zum Nebelgrau ward ihr die Sonne;
Sie floh von aller Erdenwonne,
Und gleich war ihr so Nacht wie Tag:
Ihr Herz nur noch des Jammers pflag.

|0 zog die jammervolle Frau
Hinweg nach einer Waidesau,
In wilder Einsamkeit gelegen,
Doch wahrlich nicht der Blumen wegen:
Was galt ein Kranz in ihrer Qual,
Ob er nun rot war oder fahl?
Sie flüchtet aus der Welt Getriebe
Den Sohn, den Erben ihrer Liebe,

Und sie befahl dort ihren Leuten,
Das Feld zu baun, den Wald zu reuten.
Doch allen unter strengstem Drohn
Verbot sie, dass vor ihrem Sohn
Der Name Ritter würde laut:
Denn hörte das mein Herzenstraut,
Sollt' er von Rittern wissen,
Würd' er mir auch entrissen.
Drum haltet klug die Zung' in Haft
Und schweiget ihm von Ritterschaft. -

AS blieb mit Aengstlichkeit gewahrt.
So in der stillen Wildnis ward
)er junge Königssohn erzogen,
Um königliches Tun betrogen,
Nur dass er einen Bogen schnitzte
Und Schäfte sich zu Bölzlein spitzte,
Im Wald die Vögel zu bekriegen.
Doch sah er tot nun vor sich liegen
Den Sänger, der so lustig war,
So rauft er weinend sich das Haar.
Schön wuchs er auf, ein Heldenspross.
Am Bach, der durch die Wiesen floss,
Wusch er sich alle Morgen
Und wusste nichts von Sorgen.
Nur wenn im Tann der Vogelsang
Ihm so süss zum Herzen drang,
Zersprang ihm fast die Brust vor Sehnen;
Zur Mutter lief er unter Tränen.
Sie sprach: Was hat man dir getan?
Du warst da draussen auf dem Plan. —
Er könnt' ihr keine Antwort geben,
Wie wir's an Kindern oft erleben.
Sie forschte nach, bis sie ihn fand,
Wie er vor Bäumen gaffend stand
Und auf den Sang der Vöglein hörte.
Da merkte sie, was ihn verstörte,
Und auf die Vöglein fiel ihr Hass;
Sie wusste freilich nicht um was.
Sie rief den Pflügern und den Knechten,
Dass sie den Schall zum Schweigen brächten,
Hiess alle, die da sangen,
Erwürgen oder fangen.
Doch mancher der bedrängten Schaar,
So wohlberitten, wie sie war,
Entkam dem allgemeinen Mord
Und sang vergnügt sein Liedlein fort.

G 66 3
 
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