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Nicht allein von dieser psychologischen Seite aus ist die
Lektüre des Buches hochinteressant und dadurch wie weniges
geeignet, das Bild der Kunst jener Tage aufzubauen. Fast
alle Kunstgröfsen der Zeit betreten in anschaulicher Weise
geschildert den Schauplatz. Overbeck, Koch, Cornelius, Thor-
waldsen, Ingres. Auch rein litterarisch ist es ein Genufs, den
Naturschilderungen zu folgen, die fast wie zufällig, um mit
wenig Strichen das Milieu zu zeichnen, hineingestreut sind.
An ihnen erkennt man wieder den lebensfrohen Künstler, der
Wasmann eben im Grunde war, den scharfen Beobachter,
der seine Umgebung mit einer Intimität und dabei einer Be-
schaulichkeit (man verstehe das Wort im eigentlichsten
Sinne) zu malen versteht, dafs er auch hierin ganz wie ein
Zeitgenosse von Schwind und Ludwig Richter erscheint.

Noch ein paar Worte über die Zeichnungen selber. Von
Liebermann stammt das geistreiche Wort: Zeichnen ist die
Kunst — wegzulassen. Mit andern Worten: alles Charakte-
ristische zusammenzufassen, die wesentlichen Züge herauszu-
heben und alles Unwesentliche, das die Absicht des Gewollten
nur verhüllen könnte, auszulassen. So besehen erscheinen
Wasmann'sche Zeichnungen einfach musterhaft. Ueberall
ist mit den denkbar einfachsten Mitteln Alles gesagt; jeder
Strich drückt etwas aus und nirgends ist auch nur ein Fleck,
der nichtssagend wäre. Dabei ist die Auffassung überall
neben einer feinbeobachtenden Charakteristik von gröfster
Anmut und Liebenswürdigkeit. Man beobachte, mit welch
eminentem Gefühl für Linie er bei den hier wiedergegebenen
Blättern das Haar angiebt. Nichts ist ihm zu gering. Es
giebt Skizzen von seiner Hand: zusammengebundene Beine
eines Zickleins, ein alter Karren, ein Sperling oder ein

Schränkchen mit einem Kruzifix, die zu sehen einfach ein
Vergnügen ist und durch die man direkt an gewisse Zeich-
nungen von Bastien-Lepage erinnert wird. Es ist eben die
Liebe, mit der er die Dinge um sich herum sieht und durch-
dringt, die er in seine Striche hineinträgt und mit der er den
Beschauer dann selber zu sehen zwingt.

Auch rein malerische Fähigkeiten besafs Wasmann in
hohem Grade. Man beachte nur einmal den hier abgebildeten
Halbakt oder gar das Doppelporträt seiner Mutter und Schwester.
Es waren nicht allzuviele, die so im Jahre 1835 in Deutsch-
land zu malen verstanden. Dabei war seine Farbe kräftig,
durchaus nicht vor starken Gegensätzen zurückschreckend,
jedoch stets vornehm zusammenklingend und nie von jener
Buntheit, die uns heute vor den spätnazarenischen Heiligen-
bildern grauein macht.

Man spielt wohl gern mit Fragen derart: was wäre wohl
aus Wasmann noch geworden, wenn .. . ., wie man sich so
oft fragt: was wäre wohl aus dem oder Jenem geworden,

wenn...... Es ist ein thörichtes Fragespiel, denn wenn

man sich gewöhnt hat, Geschichte als Wirkung und Gegen-
wirkung zu sehen, so weifs man, dafs die Reaktion, wie sie
Wasmann mit vertritt, genau so notwendig in der £nt-
wickelungsgeschichte der menschlichen Kultur ist, wie
irgend ein anderer der grofsen Pendelschläge der Welt-
geschichte, die einmal weit links und dann mal wieder weit
rechts über das Ziel hinausschwingend, das Zeitrad vorwärts
treiben. Und glücklich, wer sich von der Notwendigkeit so
überzeugt, dafs er immer an dem lebendigen Tick-Tack seine
Freude haben kann.

Paul Schultze-Naumburg

AKTSTUDIE

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