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Panofsky, Erwin
Die Sixtinische Decke — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 8: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.61283#0009
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mentsystems durchgreifende Querverbindungen, die den
Gewölbescheitel überbrücken und so die ganze Volta
in Traveen teilen: das dekorative Netzwerk hat sich
zu einer rhythmischen Abfolge von Bildfeldern gewan-
delt. Was zur vollkommenen Vereinheitlichung noch
fehlt, ist einmal der straffe Flächenzusammenhang, der
durch die Nischen unterbrochen wird — sodann der
straffe Axialzusammenhang, den die Verschiedenartig-
keit der gliedernden Profile und die ungleiche Ge-
staltung der teils recht-, teils achteckigen Bildfelder
in Frage stellt. Beides erreicht die Ausführung,
die auf der einen Seite ein Prinzip rein kristallinischer
Schichtung, auf der andern ein Prinzip streng ortho-
gonaler Quadrierung zur Geltung bringt: die Sitz-
figuren sind nicht mehr in konkaven Nischen unter-
gebracht, sondern vor planer Wand, zwischen recht-
winklig zugeschnittenen Vorlagen; und indem das
Breitenmaß dieser Vorlagen auch für die Quergurte
des Mittelteils bestimmend wird, indem die Schrägen und
Kurven fast gänzlich zurücktreten und selbst die drei-
eckigen Zwickelfelder durch Einfügung horizontaler Fuß-
platten zu Rechtecken umgeschaffen werden, tritt der
gekrümmten und ausgezackten Form des ursprünglichen
Gewölbes ein rektanguläres Koordinatensytem gegen-
über, das dennoch durch den Wechsel schmaler und
breiter Kompartimente ein kräftiges rhythmisches Leben
erhält. — Damit hat Michelangelo für das alte Problem
eine neue Lösung gefunden: indem sich seine gemalte
Architektur struktiv und rhythmisch von der gebauten
lossagt, illustriert sie nicht mehr ein Kräftespiel, das
der gegebenen Decke schon immanent gewesen wäre,
sondern sie erschafft ein Kräftespiel, das zu dem der
gegebenen Decke als etwas Neues hinzutritt; aber in-
dem sie andererseits die reale Wölbung nur mit Blöcken,
Gurten und Gesimsen unterlegt, negiert sie dieselbe
nicht zugunsten eines Ausblicks in größere Höhen oder

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