Det Saturn
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keit“ des Saturn erklärt sich (qua Kronos) aus dem Verschlingen der
Kinder („öc öarravac qev ctTTavxa“ heißt es von diesem in einem orphi-
schen Hymnus, und einer seiner Beinamen ist „ujqr|CTr|p“), oder (qua
Chronos) aus der „allesverzehrenden“ Urkraft der Zeit; die Zuordnung
der Eunuchen und Unfruchtbaren läßt sich auf die Entmannung des
seiner Herrschaft beraubten Göttervaters zurückführen, die der Kerker
und Fesseln auf seine Gefangensetzung im Tartarus und seine Fesse-
lung mit jenen Banden, die man dann später in den wollenen Fußbin-
den des römischen Saatengotts wiederzuerkennen glaubte; die „langen,
schlimmen Reisen“ endlich sowie das „Fernsein von der Heimat“ wer-
den mit seinem flüchtigen Umherirren durchalle Weltzusammenhängen,
das ihn zum Schluß nach Latium geführt haben soll: „amissa posses-
sione Coeli, cum totas per terras profugus erraret“.
Nun kennzeichnet sich aber, wie schon aus den oben angeführten
Beispielen hervorging, die Vorstellung des Saturn dadurch, daß durch
die Vielfältigkeit ihrer Bestimmungen ein ausgesprochener Dualis-
mus hindurchleuchtet, daß zwischen ihren Prädikaten nicht sowohl ein
Verhältnis der Heterogeneität, als vielmehr ein Verhältnis derPola-
rität stattfindet. Eine so ausgeprägte Gegensätzlichkeit nun wie die
zwischen Armut und Reichtum, Betrügerei und Wahrheitsliebe, unste-
tem Umherirren und Seßhaftigkeit, Gefangenschaft und Menschenbe-
herrschung kann sich nicht mehr allein aus dem Zusammenwachsen ver-
schiedener Mythologeme erklären (das zwar eine gewisse Disparatheit,
nicht aber eine grundsätzliche Antithetik der einzelnen Bestimmungen
im Gefolge haben kann), und auch der Geg'ensatz zwischen mythologi-
schen und astronomisch-naturwissenschaftlichen Vorstellung'en vermag
ihn nur zum Teil begreiflich zu machen. Ein Widerspruch wie der
zwischen den Angaben „trocken“ und „oft aber auch feucht“1) läßt
sich wohl noch auf diese Weise erklären, denn wenn die „Trockenheit“
des Saturn vor allem darin begründet sein dürfte, daß er — als Him-
melskörper betrachtet — durch seine Stellung in der obersten Planeten-
sphäre den, wie man glaubte, von der Erde emporsteigenden Dünsten
entzogen schien2), so kommt ihm die Eigenschaft der „Feuchtigkeit“ um
1) Dieses „oft“ zeugt übrigens schon von der Absicht, den allzu krassen
VViderspruch ein vvenig zu verschleiern — von einer Absicht, wie sie besonders
deutlich in dern ,,accidentaliter humidus“ der der Druckausgabe zugrundeliegen-
den Übersetzung des Hermannus Dalmata zum Ausdruck kommt.
2) Hinzukommt, daß die Naturphilosophie ganz allgemein dem Greisen-
alter eine trockene Natur zuschrieb, so daß also dem Saturn zvvar auch sub
specie einer mythologisch-anthropomorphisierenden, aber innerhalb dieser my-
thologisch-anthropomorphisierenden immer noch naturvvissenschaftlichen Betrach-
tungsvveise die Eigenschaft der Trockenheit beigemessen werden kann (vgl. p. 8,
Anm. 1).
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keit“ des Saturn erklärt sich (qua Kronos) aus dem Verschlingen der
Kinder („öc öarravac qev ctTTavxa“ heißt es von diesem in einem orphi-
schen Hymnus, und einer seiner Beinamen ist „ujqr|CTr|p“), oder (qua
Chronos) aus der „allesverzehrenden“ Urkraft der Zeit; die Zuordnung
der Eunuchen und Unfruchtbaren läßt sich auf die Entmannung des
seiner Herrschaft beraubten Göttervaters zurückführen, die der Kerker
und Fesseln auf seine Gefangensetzung im Tartarus und seine Fesse-
lung mit jenen Banden, die man dann später in den wollenen Fußbin-
den des römischen Saatengotts wiederzuerkennen glaubte; die „langen,
schlimmen Reisen“ endlich sowie das „Fernsein von der Heimat“ wer-
den mit seinem flüchtigen Umherirren durchalle Weltzusammenhängen,
das ihn zum Schluß nach Latium geführt haben soll: „amissa posses-
sione Coeli, cum totas per terras profugus erraret“.
Nun kennzeichnet sich aber, wie schon aus den oben angeführten
Beispielen hervorging, die Vorstellung des Saturn dadurch, daß durch
die Vielfältigkeit ihrer Bestimmungen ein ausgesprochener Dualis-
mus hindurchleuchtet, daß zwischen ihren Prädikaten nicht sowohl ein
Verhältnis der Heterogeneität, als vielmehr ein Verhältnis derPola-
rität stattfindet. Eine so ausgeprägte Gegensätzlichkeit nun wie die
zwischen Armut und Reichtum, Betrügerei und Wahrheitsliebe, unste-
tem Umherirren und Seßhaftigkeit, Gefangenschaft und Menschenbe-
herrschung kann sich nicht mehr allein aus dem Zusammenwachsen ver-
schiedener Mythologeme erklären (das zwar eine gewisse Disparatheit,
nicht aber eine grundsätzliche Antithetik der einzelnen Bestimmungen
im Gefolge haben kann), und auch der Geg'ensatz zwischen mythologi-
schen und astronomisch-naturwissenschaftlichen Vorstellung'en vermag
ihn nur zum Teil begreiflich zu machen. Ein Widerspruch wie der
zwischen den Angaben „trocken“ und „oft aber auch feucht“1) läßt
sich wohl noch auf diese Weise erklären, denn wenn die „Trockenheit“
des Saturn vor allem darin begründet sein dürfte, daß er — als Him-
melskörper betrachtet — durch seine Stellung in der obersten Planeten-
sphäre den, wie man glaubte, von der Erde emporsteigenden Dünsten
entzogen schien2), so kommt ihm die Eigenschaft der „Feuchtigkeit“ um
1) Dieses „oft“ zeugt übrigens schon von der Absicht, den allzu krassen
VViderspruch ein vvenig zu verschleiern — von einer Absicht, wie sie besonders
deutlich in dern ,,accidentaliter humidus“ der der Druckausgabe zugrundeliegen-
den Übersetzung des Hermannus Dalmata zum Ausdruck kommt.
2) Hinzukommt, daß die Naturphilosophie ganz allgemein dem Greisen-
alter eine trockene Natur zuschrieb, so daß also dem Saturn zvvar auch sub
specie einer mythologisch-anthropomorphisierenden, aber innerhalb dieser my-
thologisch-anthropomorphisierenden immer noch naturvvissenschaftlichen Betrach-
tungsvveise die Eigenschaft der Trockenheit beigemessen werden kann (vgl. p. 8,
Anm. 1).