Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Teubner, 1923

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0028
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8

Das Altertum

Dunkelheitund Abg'esondertheit sowohl astronomisch alsmytho-
logisch erklärt werden könnten.* 1) Allein, einmal vollzogen, zieht eine
solche Verknüpfung zahllose weitere Elemente mit in den Gesamt-
komplex hinein — Elemente, die an und für sich schlechthin nichts
miteinander gemeinsam haben, und deren Vereinigung höchstens ex
post und vielfach nur mit künstlichsten Mitteln gerechtfertigt werden
konnte2 3): wenn einmal ein Planet mit einer Gottheit (oder besser: mit
der synkretistischen Vereinigung mehrerer verschiedener Gottheiten)
identifiziert worden wars), dann mußte eben seine Vorstellung aus-
nahmslos alle die Motive in sich aufnehmen, die sich unmittelbar
oder (durch „Analogiesetzung“) mittelbar aus den mythologischen Be-
stimmungen jener Gottheit ergeben: res sunt consequentia nominum4).

* *

*

So läßt sich also die eigentümliche Disparatheit, die für die An-
gaben eines Abü Ma'sar bezeichnend ist, aus den historischen Voraus-
setzungen der spätantik-arabischen Astrologie begreifen: die „Gefräßig-

und erdnächste Planet dem leichtbeweglichen Götterboten zugeordnet wurde. Vgl.
hierzu Boll, Sternglaube und Sterndeutung, p. 58.

1) Ger. Joann. Vossius, De Theologia Gentili, lib. II. cap. XXXIII, Amst.
1641, p. 487: „creditum est eum animae caelitus descendenti indere vim intelli-
gendi, et contemplandi sublimia. Quae Plotini, aliorumque etiam Platonicorum,
opinio fuit. Eademque etiam de causa judicatus animas sapientium (ut verbis utar
Materni) innumeris angustiis liberatas ad coelum, et ad originis suae primordia, re-
vocare . . . Nam ex tarditate collegerunt, eum esse animi senilis ac prudentis.
Senes enim, ac melancholici, non tam, juventutis instar, discurrunt hac illac . . .“
Auch das Prädikat der ,,Kälte“ ist sowohl mythologisch als naturwissenschaftlich
erklärbar: mythologisch betrachtet ist Kronos der Wintergott (xeipuiva Kpövov, das
Eismeer heißt daher Kpöviov -n:e\aToc) — physikalisch-naturwissenschaftlich be-
trachtet, ist der Planet Saturn als Himmelskörper (wegen seiner „erdigen“ Natur
und seiner großen Entfernung von der Sonne) ein „kalter“ — anthropologisch-
naturwissenschaftlich betrachtet, zeichnet er sich bereits als Greis durch Kälte aus
(vgl. etwa das im III. Anhang abgedruckte Aristoteles-Problem).

2) Ganz entsprechend liegt beispielsweise der Fall bei der Gleichsetzung
der zwölf Tierkreiszeichen mit zwölf (z. T. erst ad hoc unterschiedenen) Teilen
des menschlichen Körpers (zitiert u. a. bei Blochet, Etudes sur le gnosticisme
rnusulman, Extrait de la „Rivista degli studi Orientali“ II, III, IV, VI, 1913,
p. 134): daß etwa die zwei „Fische“ mit den zwei Füßen in Analogie gesetzt wer-
den, ist ohne weiteres verständlich — daß aber etwa der ,,Löwe“ den Schultern
„entspricht“, ergibt sich nur in Konsequenz der eimnal vollzogenen Zuordnung.

3) Zunächst war diese Identifikation selber nur Zuordnung: ,,der“ Saturn
hieß ursprünglich ,,der Stern des Kronos“: ,,erst als die astrale Mystik immer
mehr Gewalt bekommen hatte, wird umnittelbar ,Zeus' oder ,Aphrodite‘ fiir den
Stern selbst gesagt, also Gott und Stern völlig gleichgesetzt“ (Boll, Sternglaube und
Sterndeutung, p. 57).

4) Da der Nachweis dieser Behauptung den Text zu sehr belasten wiirde, ist
der Vergleich des Abu Marsar-Textes mit den antiken Quellen in den II. Anhang
verwiesen worden.
 
Annotationen