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Panofsky, Erwin <Prof. Dr.>
Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst — Leipzig, Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.29796#0069
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Die Prodiheische Herculesfabel bei Xenophon

Reinheit ist ihr einziger Schmuck, und sie naht sich züchtigen Blicks und
in sittsamer Haltung. Die andere dagegen, von ihren Freunden als Eü-
Satpumoc, von ihren Feinden als Kcodoc bezeichnet, ist üppig und weichlich
(TE-ö pagpsvy] ziq TcoXuaocpxiav xz xal a7taX6ry]Ta, ,,was underspickt und faist
von Leib“, wie es Hans Sachs in sein geliebtes Deutsch übertragen
hat)x); geschminkt, so daß sie weißer und röter erscheint als sie ist, und
in der Haltung eine geradere Gestalt vortäuschend als sie hat1 2); mit
frechen Blicken schaut sie umher, und ihr Gewand läßt ihre Reize nach
Möglichkeit durchschimmern. In zweimaliger Rede und Gegenrede (die
zur Niederlage vorbestimmte Kooda spricht natürlich zuerst, und in
dramatischer Steigerung wendet sich die 'Aper/) in ihrer zweiten, ent-
scheidenden Ansprache unmittelbar gegen die Feindin, nachdem sich die
drei ersten Reden nur an Hercules gerichtet haben) suchen beide den
Jüngling für sich zu gewinnen, indem sie ihn, jede nach ihrer Weise, zum
Glück zu führen versprechen, — die eine durch Genuß und Müßiggang,
das heißt auf dem „angenehmsten und leichtesten“ Wege, die andere
durch Mühen und Gefahren, das heißt auf einem „langenund schwierigen“.
Wie Hercules entscheidet, ist bekannt.

Dieser Erzählung, auf die es in erster Linie zurückgeführt werden
muß, wenn die Gestalt des Hercules zum Prototyp nicht nur der Stärke
und Tapferkeit, sondern auch der stoischen Tugend geworden ist, liegt
eine Mehrzahl von älteren, ursprünglich gesonderten Vorstellungen zu-
grunde . Daserste Motiv ist der allgemein anerkannte Moralsatz, daß die
Tugend mühsam und entbehrungsreich, das Laster dagegen leicht und
süß sei (woraus gewöhnlich, freilich nicht ganz logisch, gefolgert zu werden
pflegt, daß eine anstrengende und unerfreuliche Lebensführung als tugend-
haft, eine bequeme und lustbringende jedoch als lasterhaft zu gelten habe).
Das zweite Motiv ist der ebenfalls unendlich verbreitete, in vielen Litera-
turen anzutreffende, auch in dasMärchen eingegangene V ergleich des Lebens
mit zwei „Wegen“, deren einer zum Guten, deren anderer aber zum Bösen
führt (in religiöser Wendung: der,, Weg zur Rechten“ und der,, Weg zur Lin-
ken“, der,, Weg des Lichtes“ und der „Weg der Finsternis“, der „Weg des
Himmels“ und der „Weg der Hölle“, der „Weg des Lebens“ und der „Weg
des Todes“), und die, dem eben erwähnten Moralsatz entsprechend, im
positiven Fall als schmal und beschwerlich, im negativen als breit und

1) Hans Sachsens Werke, hrsg. von Adelbert von Keller, Bd. III (Bibi. d. liter.
Vereins in Stuttgart, Bd. 104, 1870), S. I24ff.

2) Ein späterer, nicht namentlich bekannter Rhetor faßt alles dies zusammen unter
dem Begriff des eirslcaxTov xaXXo^, Tourecmv ou <puaixov, dc)Aa and xoapiwv xal tpuxapkjv xal
eTepcov'nvwv (vgl. dazu unten S. 50 ff.), während die „Tugend” an Stelle der „hinzugekomme-
nen“ oder „aufgetragenen“ Schönheit ein cpucixov y.dXXoq besitzt (Alpers, S. 37). Vgl. auch
unten S. 174.
 
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