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Hercules Prodicius

gemächlich geschildert werden. In der berühmten Matthäusstelle VII,
13, hat sich dies Gleichnis des „schmalen und breiten Weges“ dann
noch mit der analog gebildeten Metapher der „engen und weiten Pforte“
verbunden, wie es sich unvermischt in Lukas XIII, 24 erhalten hat; und
die pythagoräische oder wohl eher pseudo-pythagoräische Buchstaben-
mystik (denn keines der erhaltenen Zeugnisse reicht über das 1. Jahr-
hundert 11. Chr. hinauf) hat es —jedoch bereits auf Grund der xeno-
phontischen Erzählung—in der Gestalt des Y symbolisiert gesehen, das in
seinem ungeteilten Stamm die ethische Indifferenz des Kindesalters, in
der Gabelung seiner ungleichen Äste aber die Willensentscheidung des
Jünglings zu veranschaulichen schien, und das bereits im Altertum als
„Litera Pythagorae“, ja geradezu als Tpagga cpAocrocpov bezeichnet zu
werden pflegte.1) Das dritte Motiv ist jene echt griechische Kunstform,
die man als „Synkrisis“ zu bezeichnen pflegt: der paradigmatische Rede-
wettstreit zweier Gegner, die entweder als reale Personen eingeführt wer-
den (z. B. Aischylos und Euripides in den „Fröschen“, oder Theseus
und der thebanische Herold in den „Hiketiden“), oder aber, und häufiger,
unmittelbar bestimmte Geistes- oder Lebensmächte „verkörpern“. Zu
dieser Gattung redenwechselnder Personifikationen gehören auch die
beiden Frauen der Xenophontisch-Prodikeischen Herculesfabel: „Tugend“
und „Laster“ — jene durch eine edle Athenienserin, dieses durch eine
Hure dargestellt — führen ein an und für sich ganz selbständiges Streit-
gespräch, wie etwa bei anderen Schriftstellern „Erde" und „Meer“,
„Gerechtigkeit“ und „Ungerechtigkeit“, „Leben“ und „Tod“; und es ist
eine unmittelbare Parallele zu unserer Herculesfabel, wenn Sophokles
ein Streitgespräch zwischen der salbenduftenden Aphrodite und der
zugleich auf Tüchtigkeit des Geistes und des Körpers hinweisenden
Athene auf die Bühne gebracht hat.2)

1) Vgl. hierzu und zum Folgenden Alpers, S. 6off.; ferner F. Dornseiff, Das Alphabet
in Mystik und Magie (Stoicheia VII), 2. Aufl., 1925, S. 24; F. Cumont, After life in roman
paganism, 1922, S. 88, 150,194; A. Brinkmann, Rhein. Mus. LXVI, 1911, S. 622ff. (mitAbb.
der bekannten Lydischen Grabstele, die das Pythagoräische Y darstellt). Eine Zusammen-
stellung aller Schriftstellen, in denen auf den Gedanken des guten und bösen Weges
angespielt wird, würde ein dickes Buch füllen: das Motiv ist den sibyllinischenOrakeln
ebensowenig fremd wie Wilhelm Busch („Eduards Traum") und Shakespeare (Ende gut,
Alles gut, IV, 5, wo der Narr von dem „Haus mit der engen Pforte" spricht, das für
große Herren zu eng sei, daher denn diese den „blumigen Weg" vorzuziehen pflegten, der
„zu der breiten Pforte und dem großen Feuer" führt). Erwähnenswert ist jedoch die
eschato 1 ogische Wendung, die der Neupythagoräismus dem Gedanken ge-
geben hat, indem er das Motiv der zwei Wege mit dem des Totengerichts verband
(Cumont, After life 1. c.). Über die Bedeutung, die das Y-Motiv für die Illustration der
Herculesfabel gewinnen sollte, vgl. unten S. 650., ferner S. 110, 117, 121.

2) Athenaeus, Deipnosophistai XV, 687: EoooxX'?^ 8’ 6 7rai7)T7]<; Iv Kpiasi tg>
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