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Panofsky, Erwin <Prof. Dr.>
Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst — Leipzig, Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.29796#0132
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io6

Hercules Prodicius

liefert ist1) (Abb. 50: „Deliberatio omnium difficillima“). Die Überein-
stimmung der Gesamtanlage mit dem antiken Schema des Parisurteils
tritt schon in dem Breitformat und in der deutlichen Isolation des Her-
cules hervor; allein hier hat dies Schema nun bereits zwei weitere, recht
ungleichartige Bildmotive in sich aufgenommen: die Hauptfigur muß
auf antike Darstellungen des sitzenden Hercules zurückgehen, ja sie
könnte in gewissen Einzelheiten (linkes Bein, Steinsitz mit Löwenfell) be-
reits durch das berühmte Hesperidenrelief der Villa Albani (Abb. 66) be-
einflußt sein, mit dem wir uns noch einmal werden beschäftigen müssen2);
die Frauengruppe aber greift — kraft einer der merkwürdigsten Typen-
übertragungen — ganz unverkennbar den Gedanken jener addossierten
Paare auf, die seit Pierin del Vagas Ausmalung der Sala del Consiglio in
der Engelsburg nicht nur als Grabschmuck und Zwickelfüllung, sondern
auch, und sogar besonders häufig, als Sopraportendekoration ver-
wendet zu werden pflegten (Abb. 51). Man könnte sogar auf den Gedanken
kommen, daß das Füllhorn der mit der ,,Virtus“ besonders verwandten
„Abundantia“ (deren Sitzmotiv natürlich auf das der Erythraea zurück-
geht) auch das als Tugend-Attribut recht ungewöhnliche Motiv der
Blumenvase angeregt habe: denn Blumen pflegen in den übrigen Dar-
stellungen unseres Kreises gerade umgekehrt zur „Voluptas“ zu gehören,
weil sie auf die Vergänglichkeit der Sinnenlust hin weisen, und auch in
unserem Falle scheinen sie zu dem dichtbelaubten Baum der ,,Voluptas“
besser zu passen als zu dem blätterlosen der ,,Virtus“. Allein eine Äuße-
rung Vasaris belehrt uns, daß die Blumenvase von der Allegoristik des
16. Jahrhunderts auch als ein Tugend-Emblem verwandt werden konnte,
weil sie den Wohlgeruch bezeichnete, den tugendhafte Handlungen ver-
breiten. 3) Im übrigen hat die Übernahme des symmetrischen Sopraporten-
Schemas der Differenzierung der beiden Frauenfiguren naturgemäß recht
enge Grenzen gezogen — sie beschränkt sich auf den Gegensatz zwischen
Bekleidung und Entblößung einerseits, Weisen zum Himmel und Lock-
Gestus andererseits4) —, und überhaupt läßt gerade dieser Kupferstich

1) B. XV, S. 425, Nr. 26.

2) Vgl. unten S. 127 ff.

3) Vasari, Ragionamenti, 2. Aufl., Arezzo, 1762, S. 76: ,,In questi due angoli . . .
da un canto vi ho fatto la Virtü, che appoggia un braccio in quel vaso
grande pien di fiori per l'odore buono, che essa Virtu fa sentire dell
opere sue; con l’altro tiene un libro aperto mostrando, che senza le fatiche e gli studii
non si dä, di se odore al mondo; le quali, quando sono condotte al segno, che facciano romore,
la fama ...“ Der Hinweis auf diese interessante Stelle wird Frl. Marie Louise Mez verdankt.

4) Es darf im Hinblick auf das im ersten Exkurs (S. 173 ff-) Gesagte bemerkt werden,
daß die „Voluptas“ des Ghisi-Stichs nicht nackt, sondern ausgesprochen entblößt ist, und
daß der beabsichtigte Eindruck der Unzüchtigkeit noch mehr als durch diese Entblößung
durch die Gesten erzeugt wird.
 
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