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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0324
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820 Ludwig Klages

über zum inliéflichen Größersehen; die meisten des echten Barock
dagegen bleiben an Ausdrucksgehalt hinter ihren wirklichen Dimen-
sionen zurück und fordern uns heraus zum innerlichen Kleinersehen1;
die Landsknechtsfignren endlich des heute so beliebten und krank-
haft überschätzten Hodlef wirken stumpf Und flau trotz ihrer über-
lebensgroßen Dimensionen und haben überhaupt kein Format ähn-
lich den kalten und vordringlichen Zügen der Handschrift Fig. 20.
Durch die sinnlich gegebenen Abmessungen und Verhältnisse blicken
die oft ganz verschiedenen seelischen Dimensionen hindurch,
und nur sofern zu ihnen jene den Weg uns weisen, haben sie den
Wert individueller Symptome.

Allein auf irgendetwas Sinnliches stützt sich doch schließlich
auch diese Abschätzung und wir dürfen versuchen, es wenigstens
nach seiner Wirkung auf unser Gefühl zu schildern, wennschon es
unmöglich sein mag, es in Sachbegriffe aufzulösen. Zweifellos träfen
wir damit das letzthin Wertbestimmende auch aller Kunst, nach
Welchem bis heute die »Ästhetik« umsonst gesucht. — Werfen wir
jetzt einen Blick zurück auf unser Ausgangsschema, so fällt uns
auf, daß es ja gar nicht von einem Offenbarwerden seelischer Eigen-
schaften, sondern durchaus nur lebendiger Einheiten sprach und daß
wir unvermerkt einen gedanklichen Sprung getan, als wir von diesen
zu jenen übergingen. Wohl entspricht jeder inneren die zugehörige
äußere Bewegung, aber so wenig nach unseren einführenden Dar-
legungen der Willensakt für sich existiert, so wenig tut es jemals
die Bewegung des Eiferns, HoffenS, Zweifeins, Liebens öder Fürchtens,
sondern immerdar fürchtet, zweifelt, liebt das unteilbare Anlagen-
system der bestimmten Persönlichkeit. Wiederum wohl mögen wir
die verschiedenen Anlagensysteme miteinander vergleichen, im einen
die Disposition des Liebens betont finden, im anderen die Haßfähig-
keit, im dritten die Zweifelsucht, darum nicht Weniger bleibt das
Lieben eines Menschen um des Herstammens aus seiner Persön-
lichkeit Willen verschieden vom Lieben jedes anderen, sein Zweifeln
Vom Zweifeln aller übrigen, sein Hassen vom Hassen sämtlicher Neben-

1 Daraus erklärt es eich u. a., daß die bäuerlichen Barockkirchen meist viel
erfreulicher und überzeugender wirken als die großen Kathedralen in den Städten
und daß das Rokoko, indem es auch die Dimensionen verzierlichte, einen Grad
von Vollkommenheit erreichte, der dem Barock im allgemeinen versagt blieb.
 
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