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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0325
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Die Ausdrucksbewegung und ihre diagnostische Verwertung. 321

menschen. Die »Eigenschaften« sind Seiten, nicht aber Teile der
in Wahrheit individuellen d. i. unteilbaren Persönlichkeit und haben
als solche eine jede teil an dem Ganzen, welches sie trägt. Und
jetzt erinnern wir uns, daß uns derselbe Tatbestand gleich eingangs
gewissermaßen von außen entgegentrat, als wir versuchten, die per-
sönliche Bewegungsweise in allgemeinen Begriffen zu schildern.
Wir empfanden, daß Wörter wie eckig, kurvig, fließend, zentrifugal,
gehemmt, und wieviele ihrer sonst noch die Sprache bereit bat, nie-
mals hinreichen würden, um auch nur eine einzige lebendige Be-
wegung wirklich zu fassen, daß vielmehr stets noch ein unsagbarer
Best bleibe, der sich durch keine Häufung attributiver Bestimmungen
auflösen lasse. Weil jeder Zug der Persönlichkeit als von ihr eine
Seite in völliger Gleichheit niemals wiederkehrt, so tut es ebensowenig
die ihm entsprechende Eigenschaft ihrer Haltung, und wie an jenem
notwendig mitteilhaben ihre sämtlichen übrigen Züge, so auch an
dieser alle Eigenschaften des Ausdrucksbildes. Mit Bezug auf das
Schreiben gesagt: jede Bewegungsqualität wie Größe, Weite, Eile,
Kurve, Winkel usw. hat in jeder Handschrift wiederum ihren be-
sonderen Index, der sie einem und nur diesem einen System zuweist,
so etwa wie eine Fläche von bestimmtem Krümmungsradius zu nur
einer einzigen Kugel ergänzt werden kann. Erfassen wir in der
Qualität auch diesen Index mit, so haben wir das Ganze und mit
dem Ganzen eindeutig jedes seiner Teile.

Bevor wir eingehen auf das Kriterium des Wertentscheides, mit
dessen Hilfe allererst solches Erfassen geschieht, werde die Tatsache
selbst dem Verständnis nähergerückt. Die Handschrift, scheint es,
bestehe aus Buchstaben, jeder Buchstabe aus Linien, und da jede
Linie nach Breite und Länge meßbar ist, so müsse es bei nötiger
Geduld und Sorgfalt zuletzt die ganze Handschrift sein, und wo
bliebe dann der nicht zu verrechnende Best! Allein so scheint es
auch nur. Noch das kürzeste Schreiben bietet keinen Buchstaben
in völliger Gleichheit zum zweitenmal, ist ferner voller Kurven, an
denen wir nicht einmal Bruchstücke von mathematischer Bestimm-
barkeit ausfindig machen und weicht endlich in seinen Geraden von
der wirklichen Geraden jedenfalls weiter ab als die mit dem Lineal
gezogene, an der man ihren Begriff erläutert. Um den ßeichtum
individueller Möglichkeiten der Schriftausprägung vermutbar zu machen,
 
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