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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0477
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Versuch zu einer Darstellung u. Kritik der FREUDschen Neurosenlehre. 473

die Verpflichtung, sich jener Währung zu bedienen, die in dem Lande,
das man durchforscht, eben die herrschende ist, in unserem Falle
der neurotischen Währung.«

Zu diesen Tatsachen kommt noch hinzu die in der Traumtheorie
entwickelte Anschauung, daß die durch ein Bedürfnis angeregte Vor-
stellung des Befriedigungsobjektes primär mit halluzinatorischer Leb-
haftigkeit gegeben sei, so daß in dem primären Zustande das Wünschen
durch ein Halluzinieren befriedigt werde. Aber diese Anschauung
ist selbst nur eine Theorie; sie diente dazu, um die Regression d. h.
die halluzinatorische Lebhaftigkeit des Traumes zu erklären.

Diese Bestandstücke: die Entwicklung des Sexualtriebes von der
autoerotischen zur heteroerotischen Befriedigung, die Wirklichkeits-
scheu des Neurotikers und seine geringe Realitätsschätzung gegen-
über seinen Phantasien, sowie die Theorie über die primäre halluzi-
natorische Befriedigung des Wünschens schließen sich für Freud
za der Theorie zusammen, daß primär das Lustprinzip alle psychische
Tätigkeit des primitiven Organismus beherrsche und erst sekundär
das Realitätsprinzip sich durchsetze. Indem die Gewinnung der Rea-
lität erst in einem Entwicklungsprozeß erfolgt, ergeben sich auch
Beziehungen dahin, den sexuellen Status des Neurotikers als einen
»infantilen« zu bezeichnen und diesen Infantilismus einer Entwick-
lungshemmung« zuzuschreiben.

Man sieht, die Auffassung der Wirklichkeitsscheu des Neurotikers
ist ungefähr die gegenseitige der vulgären. Während man sonst
davon spricht, daß der Neurotiker »sich von der Wirklichkeit zurück-
zieht«, ist hier die Meinung, daß der Neurotiker gar nicht bis zur
Wirklichkeit vordringt.

Wie ist nun die Theorie im Hinblick auf die bezeichneten Grund-
lagen zu beurteilen? Stellt sie den notwendig geforderten und er-
klärenden Zusammenhang zwischen den Tatsachen her? Für die
erste Tatsachenreihe, die Entwicklung des Sexualtriebs zunächst ist
gewiß, daß die Entwicklung von der autoerotischen zur hetero-
erotischen Befriedigung tatsächlich stattfindet. Aber dies ist keine
Entwicklung vom Lustprinzip zum Realitätsprinzip, sondern die Ent-
wicklungserscheinungen stehen zu der Theorie in greller Unverträg-
lichkeit. Nach der Theorie ist die dem Lustprinzip gehorchende
Bedürfnisbefriedigung eine illusionistische, halluzinatorische, wie sie
 
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