Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

DOI issue:
Viertes Heft
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0512
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
508 Wilhelm Specht

also gleichsam, wie die Theorie sagt, Erinnerungsbilder als Wahr-
nehmungen objektiviert werden.

Zwischen der normalen Wahrnehmung und der pathologischen
Wahrnehmungstäuschung, der Illusion und Halluzination, besteht
demnach nur ein Unterschied des Grades, indem die Gedächt-
niselemente, die in die Wahrnehmung eingehen, bei diesen quanti-
tativ zugenommen haben. Wundt ist denn auch der Meinung, daß
das Vorkommen einer reinen Halluzination, in der gar keine Emp-
findungsbestandteile enthalten sind, höchst zweifelhaft ist, da solche
sehr leicht übersehen werden können. Viel wahrscheinlicher ist, daß
die sogenannten Halluzinationen Illusionen sind. Die pathologische
Illusion gehört aber ihrer psychologischen Struktur nach zu den nor-
malen Assimilationen. Sie kann geradezu als Assimilation mit
starkem Übergewicht der reproduktiven Elemente definiert werden1.

Von der Assimilation als einer der Hauptformen assoziativer Ele-
mentarprozesse spricht bekanntlich Wbndt da, wo irgendein »psychi-
sches Gebilde«, z. B. eine Sinneswahrnehmung, durch Elemente
früherer Wahrnehmungen verändert wird und wobei die Verbindung
eine derartige ist, daß die Elemente früherer Vorstellungen und die
Empfindungen zu einem simultanen Ganzen verschmelzen. Die Ver-
änderung aber kommt dadurch zustande, daß gleiche Elemente ver-
schmelzen und sich verstärken, ungleiche einander hemmen und sich
verdrängen, so daß in der Wahrnehmung als fertigem Gebilde Ele-
mente enthalten sind, die ihr objektiv nicht angehören, und ebenso
solche fehlen können, die tatsächlich vorhanden sind, infolge des
Widerstreites mit den assimilierenden, reproduktiven Elementen aber
für die Wahrnehmung ausfallen.

Dieser Vorgang der Assimilation läßt sich nun zunächst nicht
direkt in der Selbstbeobachtung nachweisen, sondern er verrät sich
erst da, wo wir in der Lage sind, den Sinneseiudruck mit der durch
ihn geweckten Vorstellung, d. h. also das tatsächlich Vorhandene mit
dem zu vergleichen, als was es in der Wahrnehmung erscheint. Bei-
spiele dafür sind das früher genannte Hinweglesen über die Druck-
fehler eines Buches oder das Hineinsehen einer Landschaft in die
rohen Umrisse und Farbkleckse einer Theaterdekoration. Wir lesen

1 Wündt, Grundriß der Psychologie, 8. Aufl., S. 332.
 
Annotationen