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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0513
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Zur Phänomenologie u. Morphologie d. path. Wahrnehmungstäuschungen. 509

über die Druckfehler eines Buches nicht bloß deshalb hinweg, weil
wir die falschen Buchstaben nicht bemerken, sondern vor allem des-
halb, weil wir statt ihrer die richtigen sehen1.

In allen diesen und anderen Fällen sind es nun — und das ist
wesentlich — nioht die Vorstellungsbilder als Ganzes oder gar ein
einziges Erinnerungsbild, die mit dem Wahrnehmungsinhalt ver-
schmelzen, sondern die assimilierende Wirkung geht Ton einer un-
bestimmt großen Zahl von Elementen aus, die ursprünglich ganz
verschiedenen Vorstellungen angehorten. Und ebenso ist es nicht der
Wahrnehmungsinhalt als Ganzes, der für die Beproduktion be-
stimmend ist, sondern die ihn aufbauenden elementaren Empfin-
dungen: die simultane Assoziation findet zwischen den Elementen,
den Empfindungen und den Elementen früherer Wahrnehmungen
statt. Und zwar sind es bekanntlich zwei Verbindungsprozesse, die
sich bei der Wahrnehmung und ihrer illusorischen Umgestaltung ab-
spielen. Einmal erwecken die Elemente des Sinnesinhaltes die Ele-
mente früherer Wahrnehmungen, die den in ihm enthaltenen gleich
sind, und zweitens wecken sie mittels dieser solche Elemente, die
bei früheren Wahrnehmungen mit jenen gleichen verbunden waren,
in dem aktuellen Sinnesinhalt aber fehlen.

Zur Veranschaulichung dafür wählt Wündt das Beispiel, daß,
wenn wir ein falsch gedrucktes Wort richtig lesen, die in dem
Wortbild enthaltenen richtigen Buchstaben die ihnen gleichen repro-
duzieren, und daß diese gleichen dann den ihnen in früheren Wahr-
nehmungen äußerlich verbundenen Buchstaben reproduzieren, der
den Druckfehler, also den falschen Buchstaben, verdrängt. Aber
dies Beispiel verdeutlicht insofern nicht ganz das, was die Assimila-
tionstheorie meint, als die gesehenen Buchstaben zwar als Elemente
eines Wortbildes angesehen werden können, nicht aber als Elemente
im Sinne der elementaren Empfindungen. Denn unter den Gesichts-
empfindungen, von denen die Psychologie handelt, gibt es doch
keine E- oder A-Empfindungen, sondern nur Schwarz-, Weiß-, Grau-
empfindungen und die Skala der Farbempfindungen. Bezeichnender
ist darum ein anderes Beispiel. Wenn mich ein gelber Eindruck an
das ihm ähnliche Orange erinnert, so ist es der Theorie zufolge

1 Wvndt loo. oit. S. 281.
 
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