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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0550
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546 Wilhelm Specht

Um den Unterschied der Struktur zu lassen, müssen wir nun zu-
nächst aus der Sphäre des Ich, also aus jener Sphäre, in der Auf-
merksamkeit, Deutung, Urteilsfunktion liegen, hinabsteigen gleich-
sam in eine tiefere Sphäre, in diejenige, in der die Inhalte, die
Hör-, Sehinhalte usw. gebildet werden. Gehen wir, um uns das
klar zu machen, von einem Beispiel aus, wie es Stöbring zitiert.
Ein Kranker sieht auf der Straße in einer gewissen Entfernung
zwei Menschen stehen, die leise, für ihn vollkommen unverständlich,
miteinander flüstern. Und er hört nun halluzinatorisch, daß er
beschimpft wird. Ohne hier die Frage der Abgrenzung von Hallu-
zination und Illusion zu erörtern, wollen wir es einmal annehmen,
daß ich mich in einer ähnlichen Lage befinde wie jener Kranke.
Ich höre zwei Menschen miteinander flüstern, und dieses Flüstern
kann mir unter Umständen, wenn ich die Menschen kenne und weiß,
daß sie mir feindselig gesonnen sind, bedeuten, daß man über mich
Böses sagt, mich beschimpft. Ich habe hier die Hörinhalte des
Flüsterns und die bedeuten mir ein mich Beschimpfen. Ganz anders
bei dem Kranken. Der hat gar nicht den Hörinhalt des Flüsterns,
und darauf fundiert die Bedeutung Beschimpfen, sondern er hat
ganz andere Hörinhalte wie ich, er hört das Schimpfen, er hat
solche Hörinhalte, wie ich sie dann habe, wenn man mir Schimpf-
worte zuruft. Das zeigt, daß bei dem Kranken die Inhalte anders
gebildet sind als in der natürlichen Wahrnehmung.

Von der natürlichen Wahrnehmung gilt nun zunächst, daß das,
was mir in der Wahrnehmung unmittelbar gegeben ist, ob ich nun
einen rechteckigen Tisch sehe oder eine weiße Kugel oder eine
Rede anhöre oder von meinem Zimmer aus höre, daß draußen auf
der Straße ein Hund bellt, kurz die Bedeutung oder in der Sprache
HüSSEELs die Bedeutung verleihenden Akte fundiert sind in den
Inhalten, Sehinhalten, Hörinhalten usw., dem, was andere die prä-
sentierenden Empfindungen genannt haben. Schon in dem phäno-
menologischen Teil, dann bei Behandlung der Assimilationstheorie
haben wir gesehen, daß das, was die Inhalte fundieren, mir in
der Wahrnehmung zunächst gegeben ist; aber es soll das hier noch
einmal schärfer herausgestellt werden. Nehme ich irgend ein Ding
wahr, sehe ich z. B. einen Würfel, so kann gar keine Rede davon
sein, daß mir hier zunächst das gegeben sei, von dem der Sensu-
 
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