8 Ludwig Klages
der Umstand von fundamentaler Bedeutung, daß diejenigen Erschei-
nungen der Atmosphäre das Traumgefühl begünstigen, welche den
Abstand zwischen uns und den Dingen zu vergrößern scheinen, im
Verhältnis zur Tageshelle also Nebel, Dämmerung und Nacht. Jedes
starke Licht engt das Beleuchtete ein und zwar doppeltermaßen:
durch Grenzverfestigung der Einzelheiten und durch Ausschließung
des kosmischen Hintergrundes, JjLJEÎK-âsiUL..aus,, dem-Dunkeln ins
Helle hinein, nicht aber aus dem Hellen ins Dunkel hinausblicken
können.1 Besser als am Tage gedeiht darum das Traumgefühl in
der abendlichen Dämmerstunde, l'heure bleue, insonderheit bei be-
ginnendem Sternenlicht, von dessen träume webend er Gewalt Goethe
das Wesen kundmacht mit dem einzigen Vers:
Schon ist alle Nähe fern.
Aus dem Verhältnis der Architektur zum Licht läßt sich, nebenbei
gesagt, der Grad der Traumverwandtschaft ganzer Zeitalter ermitteln.
Die tiefe Dämmerung in den fensterlosen Tempeln der Antike, soweit
sie nicht der Hypäthralöflhung weichen mußte, entsprach dem noch
halbmythischen Geist jener Epoche. Die fromme Innerlichkeit des
Mittelalters konnte die Gewölbe nicht dick genug mauern, gestattete
im sog. romanischen Stil durch schachtartige Offnungen dem Lichte
nur spärlichen Zugang und wurde als Mystik noch fiber die licht-
süchtige Gotik Herr, indem sie die Kiesenfenster der Kathedralen
allmählich ganz mit farbigen Gläsern füllte. Erst die Renaissance
verwarf die Dämmerstimmung des Innenraums und brachte endgültig
den Sieg der Fensterhelle als Auftakt der Intellektualität, die bis zu
diesem Tage das Traumbewußtsein bekriegte. — Wir schließen die
kurze Betrachtung über das Ferngefühl mit einer Mutmaßung über
die Verschiedenheit der Rollen, die schon um seinetwillen den ein-
zelnen Sinneszonen für die Gestaltung einer Traumwelt zufallen dürfte.
Nur Gesicht und Gehör sind Fernsinne, der Geruch ist ein halber,
Geschmack und Getast sind Nahsinne. Wenn der Fernheit bedürftig,
so böte die Wirklichkeit des Traumes die uns Augenwesen ohnehin
geläufige Vorherrschaft des Sehbildes als zur absoluten Monarchie
> Dem gibt Goethe Ausdruck durch anschauliche Kennzeichnung der Maß-
verschiedenheit des Hellraums vom Dunkelraum in den Versen:
Und ihr verteilt es, allgewallt'ge Mächte,
Zum Zelt des Tages, zum Gewölb der Nächte.
der Umstand von fundamentaler Bedeutung, daß diejenigen Erschei-
nungen der Atmosphäre das Traumgefühl begünstigen, welche den
Abstand zwischen uns und den Dingen zu vergrößern scheinen, im
Verhältnis zur Tageshelle also Nebel, Dämmerung und Nacht. Jedes
starke Licht engt das Beleuchtete ein und zwar doppeltermaßen:
durch Grenzverfestigung der Einzelheiten und durch Ausschließung
des kosmischen Hintergrundes, JjLJEÎK-âsiUL..aus,, dem-Dunkeln ins
Helle hinein, nicht aber aus dem Hellen ins Dunkel hinausblicken
können.1 Besser als am Tage gedeiht darum das Traumgefühl in
der abendlichen Dämmerstunde, l'heure bleue, insonderheit bei be-
ginnendem Sternenlicht, von dessen träume webend er Gewalt Goethe
das Wesen kundmacht mit dem einzigen Vers:
Schon ist alle Nähe fern.
Aus dem Verhältnis der Architektur zum Licht läßt sich, nebenbei
gesagt, der Grad der Traumverwandtschaft ganzer Zeitalter ermitteln.
Die tiefe Dämmerung in den fensterlosen Tempeln der Antike, soweit
sie nicht der Hypäthralöflhung weichen mußte, entsprach dem noch
halbmythischen Geist jener Epoche. Die fromme Innerlichkeit des
Mittelalters konnte die Gewölbe nicht dick genug mauern, gestattete
im sog. romanischen Stil durch schachtartige Offnungen dem Lichte
nur spärlichen Zugang und wurde als Mystik noch fiber die licht-
süchtige Gotik Herr, indem sie die Kiesenfenster der Kathedralen
allmählich ganz mit farbigen Gläsern füllte. Erst die Renaissance
verwarf die Dämmerstimmung des Innenraums und brachte endgültig
den Sieg der Fensterhelle als Auftakt der Intellektualität, die bis zu
diesem Tage das Traumbewußtsein bekriegte. — Wir schließen die
kurze Betrachtung über das Ferngefühl mit einer Mutmaßung über
die Verschiedenheit der Rollen, die schon um seinetwillen den ein-
zelnen Sinneszonen für die Gestaltung einer Traumwelt zufallen dürfte.
Nur Gesicht und Gehör sind Fernsinne, der Geruch ist ein halber,
Geschmack und Getast sind Nahsinne. Wenn der Fernheit bedürftig,
so böte die Wirklichkeit des Traumes die uns Augenwesen ohnehin
geläufige Vorherrschaft des Sehbildes als zur absoluten Monarchie
> Dem gibt Goethe Ausdruck durch anschauliche Kennzeichnung der Maß-
verschiedenheit des Hellraums vom Dunkelraum in den Versen:
Und ihr verteilt es, allgewallt'ge Mächte,
Zum Zelt des Tages, zum Gewölb der Nächte.