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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 3.1914-1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.2777#0020
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14 Ludwig Klages

wölfe und Berserker, der zeylonischen Teufelstänzer in Dämonen,
der altthrakischen Sabosmysten in den schwärmenden Thiasos des
rasenden Stiergottes1. Der griechische Mythos — übrigens er nicht
allein — hat es selber wieder in Gestalt eines Gottes und, wie sich
versteht, eines Wasserdämons gesehen, nämlich jenes robbenfreund-
lichen Meergreises Proteus, Ton dem die Odyssee erzählt, daß er
gepackt von Menelaos und seinen fellverkleideten Genossen alsobald
in einen Löwen sich verwandelt habe, und da sie nicht locker ließen,
der Reihe nach in einen Pardel, Drachen, Eber, in fließendes Wasser,
in einen wolkenhoch ragenden Baum, bevor er besiegt sein untrüg-
liches Vorwissen der Zukunft preisgab. Nach ihm als dem klassischen
Dämon der mythischen Verwandlungskunst sprechen wir füglich der
\ Wirklichkeit des Traumes proteischen Charakter zu.

Fragen wir jetzt, wie es geschehe, daß im Traum jegliches
Ding sich beliebig verwandeln könne, während im Wachen gerade
Beständigkeit zu seinem Wesen gehört, so pflegt man uns zu ant-
worten, es rühre das her von geschwächter Aufmerksamkeit, ver-
minderter Orientierung, von Unwirksamkeit der Gegenmotive, vom
Kachlassen der Logik, von > Dissoziation «, vom Wegfall des kausalen
Denkens, alles in allem etwa von der Aufhebung der >apperzeptiven
Einheitsbeziehungen«. Welche Formel man immer bevorzuge —wir
werden sie alle sogleich durch eine sehr bestimmte ersetzen — wunder-
lich kommt es uns vor, daß man hier nur das Negative, den Fort-
fall des Regulators, sieht und nicht mindestens zugleich darüber
erstaune, warum dennoch eine abgerundete Welt erscheine, voller
wohl gar als die des Wachens und jedenfalls ausreichend zum Funda-
ment für Lebensformen und Denkgestaltung einer Vorgeschichte der
Menschheit, die mehr Jahrtausende zählt als die sogenannte Welt-
geschichte Jahrhunderte. Mehr noch verwundern freilich sollte uns
allererst etwas anderes.

» Die Ergebnisse der großen Mythologen und Ethnologen wurden bisher
erst in bescheidenstem Ausmaß für die Psychologie nutzbar gemacht. Für die
hier verwerteten Momente des Zusammenhanges der Mythenbildung einmal mit
dem Seelenglauben und zum andern mit dem Traumbewußtsein seien vorerst an-
geführt: Ttlor, Primitive Kultur, unter dessen "Vorgängern zu nennen sind vor
allem Schwarz, Wattz, Bastun; ferner Mannhardt, Der Baumkult der alten Ger-
manen; Laistner, Das Bätsei der Sphinx, der zum erstenmal die Traument-
stehungstheorie des Mythos am Beispiel des Angsttraumes auf Grund eines sehr
ausgebreiteten Materials zur Durchführung bringt; Rhode, Psyche.
 
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